Egon Vaupel: Preisbegründung der Jury

Egon Vaupel

Egon Vaupel

Die Preisbegründung der Jury für das Marburger Leuchtfeuer 2019 hat deren Sprecher Egon Vaupel am Dienstag (9. Juli) im Historischen Saal des Marburger Rathauses vorgetragen.

Mit dem Marburger Leuchtfeuer 2019 würdigt die Jury ausnahmsweise einmal gleich zwei Personen in einem Jahr: Die Ärztinnen Kristina Hänel aus Gießen und Ruby Hartrich aus Marburg erhalten das „Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte“ in Anerkennung ihres vorbildlichen Eintretens für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben aller Menschen ohne Ansehen des Geschlechts, der Herkunft oder Hautfarbe und ihrer sozialen Situation.

Für die Verwirklichung ihrer Überzeugung haben beide Widrigkeiten, Beschimpfungen und Bedrohungen sowie persönliche Nachteile hingenommen. Das Engagement der beiden Medizinerinnen für Menschenrechte mag auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen, was beider Arbeit und Bemühen jedoch verbindet, ist der vorherrschende gesellschaftliche Widerspruch im Umgang mit Leben.
Ruby Hartrich sieht sich von EU-Staaten behindert und wird kriminalisiert in ihrem ehrenamtlichen Einsatz bei der Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Sie wendet sich öffentlich gegen die Haltung der Bundesregierung, die billigend in Kauf nimmt, dass schwangere Frauen – ja ganze Familien – ertrinken, nur damit Zuwanderung nach Europa verhindert wird. Auf dem privaten Rettungsschiff „Sea Watch 3“ übernimmt sie als Ärztin ehrenamtlich eine Aufgabe, die eigentlich von den Anrainerstaaten des Mittelmeers zu erfüllen wäre.
Umgekehrt hat Kristina Hänel mit dem Vorwurf nach §219a des Strafgesetzbuchs (StGB) zu kämpfen, Leben nicht schützen zu wollen, sondern angeblich für Tötung zu „werben“. Sie vertritt die Gründe für ihr Handeln trotz erheblicher Angfeindungen öffentlich und vor Gericht:
Frauen in Deutschland, die sich in einer Notlage befinden, wird der Zugang zu notwendiger Aufklärung künstlich erschwert, sie werden zu Umwegen gezwungen und müssen die Rolle von Bittstellerinnen einnehmen. Sich ungehindert informieren zu können, ist ein vom Grundgesetz garantiertes Menschenrecht.
Vielfach werden in der Gesellschaft gegenläufige Maßstäbe an menschliche Schicksale angelegt. Leid und Tod der einen scheinen einigen vertretbar, während im anderen Fall der erwachsenen, mündigen Frau zum vermeintlichen „Schutz des Lebens“ das Recht aberkannt wird, frei und uneingeschränkt Informationen darüber zu erlangen, was sie am Ende selbstbestimmt entscheiden muss. Diese Doppelmoral will die Jury mit der doppelten Preisverleihung des Marburger Leuchtfeuers 2019 deutlich machen.
Letztlich stehen beide Frauen für dasselbe Ziel: In vorbildlicher Weise setzen sie sich für ein selbstbestimmtes Leben in Würde ein. Der Schutz der Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetzes könnte kaum klarer durch praktisches Handeln verdeutlicht werden als mit dem Engagement dieser beiden Ärztinnen.
In herausragender Weise engagieren sie sich für Menschen in Not und ihr Recht auf Leben und körperliche sowie seelische Unversehrtheit. Durch ihr entschiedenes Handeln mahnen sie die Versorgung gerade der Schwächsten – der Kinder – mit allem an, was eine reiche Gesellschaft bieten müsste, um ein gutes Leben zu ermöglichen. Das sind eine staatliche Kinderbetreuung und Bildung für alle und ausreichende finanzielle Unterstützung für diejenigen, die einer solchen Hilfe bedürfen, sowie der Schutz vor Krieg, Hunger und Gewalt. „Schutz des Lebens‘ wäre dafür der richtige Begriff.
Den Einsatz von Kristina Hänel und Ruby Hartbrich für ein selbstbestimmtes Leben in Würde und den Schutz von Menschen in Notlagen ehrt die Jury mit dem „Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte“. Damit würdigt sie zugleich auch ihren Mut, für ihre Überzeugung trotz erbitterter Widerstände konsequent einzustehen und sich tatkräftig für eine bessere Zukunft einzusetzen.
Egon Vaupel
Sprecher der Jury

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