Ottmar Miles-Paul hat am 3. Juni 2024 das „Marburger Leuchtfeuer“ erhalten. Für die Humanistische Union begrüßte Franz-Josef Hanke die Festgäste.
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
ganz herzlich möchte ich Ihnen danken dafür, dass Sie sich sofort dazu bereit erklärt haben, die Laudatio auf Ottmar Miles-Paul zu halten. Das zeugt von großer Wertschätzung, worin wir beide – wie viele andere heute hier auch – uns wohl einig sind. Lieber Ottmar,
Du bist ein würdiger Preisträger des „Marburger Leuchtfeuers für Soziale Bürgerrechte“. Mehr darüber werden die Anwesenden heute noch ausführlicher hören. Ich darf vorab nur so viel verraten: Ein Großteil Deines Wegs in den letzten 35 Jahren habe ich mitverfolgt und einen kleineren Teil davon auch gemeinsam mit Dir zurücklegen dürfen.
Wenn wir schon beim Zurückblicken sind: Bereits zum 20. Mal eröffne ich heute eine Feierstunde zur Verleihung des „Marburger Leuchtfeuers für Soziale Bürgerrechte“. Der Einzige außer mir, der an allen Preisverleihungen bisher teilgenommen hat, ist Egon Vaupel. Im ersten Jahr warst Du, lieber Egon, noch als Bürgermeister dabei, dann zehn Jahre lang als Oberbürgermeister und seither als Jury-Sprecher.
Und noch ein Dank und ein Rückblick: Dir, liebe Sigrid Arnade, danke ich dafür, dass Du extra aus Berlin zur Preisverleihung angereist bist, umdie Leistungen Deines langjährigen Mitstreiters Ottmar hier zu würdigen. Wir beide kennen uns noch aus Bonn, wo wir zur Schule gegangen sind. Das Helmholtz-Gymnasium in Duisdorf war aber kein inklusives Gymnasium; wir beide haben unsere Behinderungen erst später bekommen.
Vielen Menschen ergeht es ähnlich wie uns: Eine Gesellschaft, wo jeder zweite Neugeborene statistisch auf ein Lebensalter von 100 Jahren hoffen kann, ist gleichzeitig auch eine Gesellschaft von alten und behinderten Menschen. Das sollten sich alle klar machen, dienicht behindert sind.
Bei den 10 Prozent Behinderten wiederum treten statistisch ebenso häufig weitere Behinderungen auf wie bei allen Anderen. Damit dürften in Deutschland geschätzt mindestens eine Million Menschen mehr als nur eine einzige Behinderung haben. Doch Mehrfachbehinderte kommen in der Öffentlichkeit, in der staatlichen und kommunalen Planung kaum vor. Das muss sich ändern!
Von Blinden bekomme ich als Mehrfachbehinderter immer wieder zu hören: „Das muss man als Blinder doch können!“ Ich bin es leid, meine zusätzlichen Behinderungen dann wieder und wieder erklären zu müssen oder als „faul“ oderÄhnliches diskriminiert zu werden. So etwas möchte ich nicht mehr erleben.
Ebensowenig erleben möchte ich Antisemitismus, Rassismus und populistische Hetze. Wenn Politikerinnen oder Politiker „mehr Abschiebungen“ fordern, dann gießen sie Öl auf die Mühlen rechtspopulistischer Demagogen und Populisten. Zugleich belasten solche Reden all diejenigen, die nach Deutschland geflohen sind vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Diskriminierung oder die vielleicht noch kommen wollen als gesuchte Fachkräfte. Deshalb möchte ich Forderungen nach mehr Abschiebungen aus dem Mund demokratischer Politikerinnen und Politiker nicht mehr hören.
Nicht erleben möchte ich auch, dass Menschen wegen ihres gesellschaftlichen Engagements, ihres Berufs, ihrer Religion oder ihrer Überzeugung angegriffen werden. Angriffe auf Feuerwehrleute, Rettungskräfte, Polizistinnen und Polizisten, Politikerinnen und Politiker und auch auf Menschen aus Bürgerrechtsorganisationen oder Umweltverbänden sind ein unerträglicher Ausdruck unmenschlicher Gewaltbereitschaft. In einer Demokratie darf – und muss – man politisch Verantwortliche kritisieren dürfen, aber Kritik ist nur dann legitim, wenn sie die Kritisierten als Menschen achtet und ihnen zuhört, warum sie dieses oder jenes so oder anders gemacht haben.
Was ich mir wünsche, ist eine Gesellschaft des Respekts, der diskursiven Solidarität und des Gemeinsinns. Gemeinsam müssen wir eintreten für rasch wirksamen Klimaschutz, für Soziale Grundrechte wie das auf Bildung und das Recht auf Wohnen und vor Allem für Demokratie. Demokratie setzt gegenseitige Achtung voraus, weil nur dann die notwendige Auseinandersetzung angstfrei geführt werden kann.
Zusammen mit der Volkshochschule der Stadt Marburg wird die Humanistische Union im Herbst eine kleine Veranstaltungsreihe unter dem Titel „Fakes, Fakten, Filme“ starten. Damit wollen wir unseren Beitrag zur gelebten demokratie leisten. Sie ist das wertvollste Erbe, das uns die Mütter und Väter des Grundgesetzes zur Pflege anvertraut haben.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, heißt es gleich zu Beginn des Grundgesetzes. „Den Stand einer Demokratie erkennt man an ihrem Umgang mit den Schwächsten“, hat der Lebenshilfe-Gründer Tom Mutters einmal im Historischen Rathaus gesagt. Dass wir hier in Deutschland heute auf hohem Niveau für Menschenwürde und eine barrierefreie Demokratie kämpfen können, daran hast Du, lieber Ottmar, ganz maßgeblich mitgewirkt. Darum hoffe ich, dass Dich die heutige Feier nicht stressen möge, sondern allen hier Mut macht für mehr.
** Franz-Josef Hanke
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