Ihr dreijähriges Bestehenhat die Bildungsinitiative Ferhat Unvar am 24. November 2023 in Hanau gefeiert. Unter den geladenen Gästen waren auch sechs Aktive der HU Marburg.
Für die Gründung der Bildungsinitiative zum Andenken an ihren – am 19. Februar 2020 von einem Rassisten ermordeten Sohn Ferhat – hatten die Humanistische Union (HU) und die Stadt Marburg Serpil Unvar am 21. Juli 2023 mit dem „Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte“ ausgezeichnet. Zwei Vorstandsmitglieder der HU Marburg und vier Vertreter der Jury des Marburger Leuchtfeuers waren der Einladung der Initiative zur Geburtstagsfeier gefolgt und nach Hanau gefahren. Dort mischten sie sich unter die knapp 200 geladenen Gäste des Festakts.
Nach einem Grußwort der Migrationsbeauftragten Reem Alabali-Radovan lobte auch ihre Kollegin Ferda Ataman die Bildungsinitiative: „die Kraft, die ihr jeden Tag aufbringt, um gegen Diskriminierung und Rassismus aufzustehen, ist bewundernswert. Ihr habt die schlimmsten Auswüchse von Rassismus miterlebt. Ihr hättet Grund, wütend und frustriert zu sein, euch zurückzuziehen. Dieser Gesellschaft den Rücken zu kehren.“
Doch die Bildungsinitiative tue genau das Gegenteil: „Ihr glaubt daran, dass Menschen dazulernen können. Ihr setzt auf Empathie und auf antirassistische Bildungsarbeit. Geht in Schulen, auf die Straße, gegen Hass und für den Zusammenhalt. Das ist beeindruckend!
„Der 19. Februar ist ein schwarzer Tag in der deutschen Geschichte“, stellte die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung fest. „Wir erinnern heute an Ferhat und andere geliebte Menschen. Weil wir mitfühlen und Schmerz teilen. Wenn ich mir in diesen Tagen die Debatte um die Migrationspolitik anschaue, kommt mir die Empathie zu kurz.“
Dann fuhr Ataman fort: „Was in den letzten Wochen in diesem Land vor sich geht, ist beschämend. Verantwortliche in der Politik überbieten sich gegenseitig mit Forderungen nach möglichst entwürdigenden Abschreckungsmethoden für Asylsuchende. Die Vorschläge reichten von roher Gewalt an den Außengrenzen über Bargelds erren bis hin zu längerer Abschiebehaft. Die Würde des Menschen? Sie wird in den letzten Monaten angetastet.“
Aber Geflüchtete zu entwürdigen, löse keine Probleme. Umgekehrt, sei es geschichtsvergessen und brandgefährlich.
„Es setzt einen Ton“, erklärte Ataman. „Es befördert Rassismus. Und der trifft in diesem Land alle, die Mitgemeint sind, deren Zugehörigkeit in Frage gestellt werden. Ganz egal, ob neu zugewandert oder seit Generationen in Deutschland.“
Es sei schmerzlich, zu erleben, „dass ihr – die junge Generation – diese Ausgrenzungsdebatten auch erleben müsst. Dass es nach all den Jahren immer noch kein gemeinsames WIR zu geben scheint. Kein WIR jedenfalls, das unserer vielfältigen Migrationsgesellschaft gerecht wird.“
Viel zu schnell schlage der Ton um. Viel zu oft seien die Anderen, die Asylbewerber, die Migranten, die Muslime Schuld. „Das besorgt mich zutiefst und es ärgert mich.“
Mahnend fuhr AtDaman fort: „Die Zeiten sind düster. Jüdinnen und Juden müssen in Deutschland um ihr Leben fürchten – ob aus Angst vor einem rechtsextremen Mob oder vor hasserfüllten Islamisten. „Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Mond sicher“, schrieb die jüdische Philosophin Hannah Arendt 1941. Heute, über 80 Jahre später, ist dieser Satz wieder aktueller denn je.“ Gerade jetzt gelte es, als Gesellschaft zusammenzustehen, Menschenhass zu erkennen, Diskriminierung und Antisemitismus entgegenzutreten und verletzliche Minderheiten zu schützen, Übergriffe nicht zu dulden. Egal, von wen sie kommen.
Der Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky versprach Unvar und der Bildungsinitiative die weitere Unterstützung der Stadt auch nach seinem bevorstehenden Ausscheiden aus dem Amt. Die Halle hatte die Stadt Hanau der Bildungsini zur Verfügung gestellt. Damit eröffnete sie Raum für eine bewegende Auseinandersetzung mit Rassismus, Tod und Trauer sowie für unglaublich viel schöpferische Kraft.
Dabei bewegten vor Allem die Grußworte von Müttern, deren Kinder Opfer rassistischer Gewalt oder Opfer terroristischer Anschläge geworden sind. Die internationale Vernetzung mit Initiativen von Angehörigen der Opfer rassistischer Gewalt, von Terrorakten oder auch von Polizeigewalt ist ein neues Betätigungsfeld der Bildungsinitiative. Zum Geburtstag ihres – bei dem rassistischen Terroranschlag am 19. Februar 2020 ermordeten – Sohns Ferhat hatte Serpil Unvar die Initiative im November 2020 gegründet, um das Herzensanliegen ihres ermordeten Sprösslings nach einem Bildungssystem ohne Rassismus weiterzutragen.
Inzwischen gehen die jungen Leute aus dem Team der Bildungsini an Schulen und Jugendzentren, zu Vereinen und mehr und mehr auch in Firmen. Jugendliche werden zu Teamerinnen und Teamern ausgebildet, die ihre Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus kompetent und einfühlsam an Gleichaltrige vermitteln. Bei der Geburtstagsfeier beeindruckten diese jungen Leute zwischen 15 und 29 Jahren durch ihre unglaubliche Energie, ihre rhetorische Überzeugungskraft und auch ihre technischen Fertigkeiten.
Künftig möchte sich die Bildungsini auch Kindern im Grundschulalter zuwenden, da sie „die Jugendlichen von morgen“ sind. Aufklärung über Rassismus betreffe auch schon Kinder im Vorschulalter, berichtete der ComedianKhalid Bounouar, der den Abend moderierte, mit einem Augenzwinkern von eigenen Erlebnissen ineiner Kita. Humor und Tränen trafen an diesem Abnd mit berührender Wucht eindringlich aufeinander.
Im wahrsten Sinne bewegend war die Kraft, die all diese jungen Leute ausstrahlten. „Du hast Hass in Liebe verwandelt und daraus Energie gewonnen für das Engagement für eine bessere Welt“, lautete der Tenor vieler Reden, die damit der Initiativgründerin Serpil Unvar dankten. Im Sommer hatten die HU Marburg und die Stadt Marburg die Hanauerin mit dem „Marburgger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte“ ausgezeichet.
Eine weitergehende Zusammenarbeit zwischen der Bildungsini und der Bürgerrechtsorganisation in derzeit in Planung. Gerade die Energie der –
mittlerweile gut 60 – Aktiven aus der Bildungsini sowie ihre überzeugende Haltung gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenverachtung beeindruckte Jury-Sprecher Egon Vaupel und den Marburger HU-Regionalvorsitzenden Franz-Josef Hanke sowie die anderen angereisten Mitglieder der Jury sehr stark. So viel Professionalität und Überzeugungskraft hatten sie von jungen Menschen, die vom Bildungssystem wegen ihres familiären Hintergrunds oft frühzeitig ausgegrenzt werden, vorher eher nicht erwartet. Für die Förderung dieser Talente und ihres wichtigen Anliegens zur Stärkung der Demokratie möchte sich die HU Marburg deswegen nach Kräften einsetzen.