Privilegiert: Dankesworte von Stefan Diefenbach-Trommer

Stefan Diefenbach-Trommer

Stefan Diefenbach-Trommer hat das Marburger Leuchtfeuer 2020 erhalten. (Foto: Kalkidan Chane)

Stefan Diefenbach-Trommer hat am 9. Juli das Marburger Leuchtfeuer 2020 entgegengenommen. Seine Dankesworte hat er ungefähr ähnlich gehalten wie in diesem Manuskript.
Es ist nicht einfach, nach den vielen Lobesworten noch etwas zu sagen.
So einen Preis mit so viel Würdigung habe ich noch nicht bekommen. Ich fühle mich sehr geehrt und anerkannt. Ich war mal Kreissieger im Mathematik-Wettbewerb. Und vor 18 Jahren habe ich einen Nachwuchspreis für Journalisten erhalten, aber da haben die Verleger mehr sich gefeiert und danach keine Journalistinnen und Journalisten mehr eingestellt.
In den vergangenen Tagen hatte ich überlegt, ob ich diesen Preis, das Marburger Leuchtfeuer, verdient habe. Ob ich meinen Platz hier nicht jemand anderem überlassen sollte. Jemandem, der sich für Menschenrechte einsetzt und weniger weiß, weniger sicher und abgesichert ist als ich.
Wie privilegiert ich lebe, hat mir gerade die Corona-Krise wieder gezeigt. Es ist auch ein Privileg, mit der Arbeit für Demokratie und Menschenrechte meinen Lebensunterhalt finanzieren zu können.
Aber wahr ist: Ich habe mich gefreut, als Franz-Josef Hanke mir sagte, dass ich für das Marburger Leuchtfeuer ausgewählt wurde. Über die Würdigung meiner Arbeit und meiner Person, über die Organisation hinaus, in der ich arbeite.
Bei dieser Würdigung – das wurde heute auch schon gesagt – geht es nicht nur um mich als Person. Es geht um das, was ich tue. Und darum zu zeigen, dass dieses Tun preiswürdig und möglich ist. Dieser Preis ermutigt mich – und hoffentlich andere auch.
Ich danke der Jury für diesen Preis und allen für die netten Worte: Danke, Jutta. Danke, Herr Spies. Danke, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
Ich danke allen, die mir geholfen und die mich begleitet haben, hierherzu kommen. Und mit „hier“ meine ich nicht diesen Saal und diesen Preis. Ich weiß um die Tradition, in der ich stehe.
Ich danke den 175 Vereinen und Stiftungen, die Mitglied der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ sind und die mit ihren Beiträgen meine Arbeit möglich machen. Ich danke meinen Kollegen Helge, Jonathan und Annika und ich danke Jörg Rohwedder, der mich 2014 zur Allianz holte.
Ich danke meinen Eltern, die mir – auch – vorgelebt haben, dass politische Einmischung für eine bessere Welt möglich ist, und die mir Freiraum für meine Einmischungen gegeben haben.
Ich danke Claudette Colvin, Irene Morgan, Rosa Parks und Martin Luther King, die gezeigt haben, welchen Mut es braucht, um gewaltfrei Veränderungen herbeizuführen, und welche Kraft diese Gewaltfreiheit hat – denn wer etwas mit Gewalt gewinnt, kann es nur mit Gewalt behalten.
Ich danke Fridays for Future, die nicht für sich, sondern für unsere Enkelinnen und Urenkel auf die Straße gehen und den Hass wegtanzen.
Ich danke den Frauen, die 1943 in der Berliner Rosenstraße gegen die Verschleppung ihrer Männer demonstrierten und zeigten, dass staatlichem Terror anders als mit Bomben begegnet werden kann.
Ich danke OTPOR dafür, dass sie in Serbien zeigten, wie eine Diktatur lachend und gewaltfrei hinweggefegt werden kann.
Ich danke allen, die den Mut hatten, gewaltfrei gegen Unrecht auf die Straße zu gehen, ohne zu wissen, ob sie diesen Tag überleben werden – ob 1989 in Leipzig, 1968 in Prag, 1943 in Berlin oder 2011 in Damaskus, Sfax, Kairo und Libyen, heute und an jedem Tag an irgend einem Ort dieser Welt.
Ich danke Deniz Yücel, weil ich mit ihm meine erste, auch aus heutiger Sicht ziemlich perfekte Druck-Kampagne durchführte, und weil er aus seinen Diskriminierungs- und Zurücksetzungs-Erfahrungen einen unbändigen Humor und Ehrgeiz entwickelt hat, einen wirklich selbstlosen Kampf für Freiheit und Menschenwürde.
Ich danke und weine mit Israa Abdel Fattah und vielen anderen Menschen in Ägypten, deren entschlossenes Handeln so traurig enttäuscht wurde.
Ich danke Emel Mathlouthi, die dem Freiheitsaufbruch in Tunesien eine Hymne gab, und Malek Maazoun, der vor seinem Computer saß, um Demonstrierenden via Facebook Hinweise auf gewaltfreie Strategien zu geben.
Ich danke den marokkanischen Bäuerinnen und Bauern, die 2013 auf der Straße bei Ourzazate sitzend unseren Linienbus blockierten, um auf den Wassermangel durch neue Staustufen hinzuweisen. Was für ein Mut!
Ich danke Tsietsi Mashinini und Steve Biko, die gegen das unglaubliche rassistische Unrechtsregime in Südafrika aufstanden.
Ich danke allen Jugendlichen, die 1976 in Soweto die Kraft hatten, nicht mit Steinen zu werfen. Eure Geschichten haben mich später sehr inspiriert.
Ich danke den Jugendlichen in Israel und Palästina, die der Versuchung der Gewalt widerstehen und den Dialog suchen.
Ich danke LaDonna Brave Bull Allard, die 2016 den Widerstand der Lakota gegen die Dakota Access Pipeline-Proteste mit organisierte, in einer viel zu langen Tradition der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung der USA – aber nicht mit Pfeil und Bogen, sondern mit entschlossener Gewaltfreiheit. Ach ja, vor vier Jahren schient ihr verloren zu haben – doch vor wenigen Tagen stoppte ein Gericht den Bau.
Ich danke Mayerlis Angarita Robles für ihre Versöhnungs-Arbeit in Kolumbien – phänomenal.
Ich danke dem Tank-Mann aus Bejing, der sich 1989 mit seinen Einkaufstüten vor einen Panzer stellte. Ich danke den Menschen in Prag, die sich 1968 Panzern in den Weg setzten.
Ich danke Ieshia Evans, die sich 2016 in den USA vor eine Polizeikette stellte, natürlich unbewaffnet und gewaltfrei.
Ich danke Erdem Gündüz, dem „Stehenden Mann“ vom Taksim-Platz in Istanbul, und den Menschen in Hongkong, die Parolen ohne Parolen zeigen und so im gewaltfreien Protest nicht aufhören.
Ich danke Christine Schweizer, die mit anderen aus den Erfahrungen aus der Tschechoslowakei das Konzept der Sozialen Verteidigung entwickelte und in Deutschland bekannt machte.
Ich danke Emmeline Pankhurst, nicht für ihre späteren nationalistischen und militaristischen Attitüden, sondern für ihre Theorie des gewaltlosen Widerstandes, die vor 100 Jahren die Frauenbewegung stark machte. Damals, als in kaum einem heutigen EU-Land inklusive Großbritannien Frauen wählen durften.
Ich danke Holger Isabelle Jännecke – für die rechtliche Unterstützung von x-tausend Menschen in ihren gewaltfreien Aktionen, für ihre*seine rechtsstaatliche Herausforderung, ganz besonders aber für seine*ihre klugen Gedanken in vielen Diskussionen zu Gewaltfreiheit und Aktionen. Was für ein Vorbild!
Ich danke padeluun, Rena Tangens, Eric Bachmann, Wam Kat und allen anderen Freaks, die vor 25 Jahren ein Mailbox-System aufbauten – ja, da gab es das Internet so noch nicht -, damit Menschen in Sarajevo, im geteilten Mostar, im gesamten ehemaligen Jugoslawien miteinander kommunizieren und so Lügen und Propaganda widerlegen konnten. Ohne Euer Zerberus hätte ich nicht meine erste E-Mail schreiben können!
Ich danke Newroz Duman, die mit ihrer Familie Verfolgung in der Türkei überlebt hat, die Lagerkasernierung und ständige Unsicherheit in Deutschland überlebt hat, die heute unter anderem den Mordopfern in Hanau Gesicht und Stimme gibt und damit zeigt, was möglich und nötig ist.
Ich danke Ennio Morricone und Joan Baez, die mit „Here’s to you“ ein Denkmal gesetzt haben für Nicola Sacco und Bart Vanzetti und gegen ein rassistisches und ungerechtes Polizei- und Justiz-System. Danke, Jochen Schäfer, für die Interpretation heute. Ich danke Jana Trommer, die in der DDR einfach nicht mitgemacht hat.
Ich danke meiner lieben Frau Jana Trommer und meinen Kindern. Nicht nur für ihre Geduld mit meiner Arbeitsbegeisterung, sondern auch für ihr Mittragen und Jana besonders für viele Impulse und Perspektiven
Ich danke meinen Kindern, die jedes auf seine Art für eine gerechtere Welt streitet.
Und ich danke Ihnen und Euch für die Geduld und dafür, dass Sie sich täglich für Menschenrechte einsetzen, ob mit Tat oder Spenden.

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