Flashmob für Stefan: Laudatio von Jutta Sundermann

Jutta Sundermann

Jutta Sundermann hält die Laudatio auf Stefan Diefenbach-Trommer. (Foto: Kalkidan Chane)

Stefan Diefenbach-Trommer hat am 9. Juli das Marburger Leuchtfeuer 2020 entgegengenommen. Die Laudatio hat Jutta Sundermann gehalten.
Einen schönen guten Tag!
Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Stefan!
Herzlichen Dank für die Einladung, heute hier zu sprechen.
Es ist mir eine Ehre und eine Freude, eine Laudatio auf den langjährigen Aktivisten Stefan Diefenbach Trommer halten zu dürfen.
Ich möchte – passend zu dem Menschen, um den es hier gehen soll – mit einer Aktionsbeschreibung beginnen.
2007 hat Stefan Diefenbach-Trommer als Campaigner im globalisierungskritischen Netzwerk Attac Bewegungsgeschichte geschrieben. Er hat eine neue Aktionsform eingeführt – und das mit „Wumms!“
Ich habe selbst von Braunschweig aus teilgenommen. Es war der erste bundesweit gleichzeitige Protest-Flashmob. Die Aktion wandte sich gegen die damals unmittelbar bevorstehende Privatisierung und den Börsengang der Deutschen Bahn.
Die Folgen der Streichungen, um die Bahn börsenfähig zu machen, können Sie noch heute in der Realität besichtigen.
Attacgruppen im ganzen Land hatten über ihre Verteiler, über SMS, E-Mail und soziale Medien dazu aufgerufen, an der Aktion mitzuwirken. Ob und wie viele Leute jeweils kommen würden, wussten aber auch die jeweiligen Veranstalter*innen nicht.
Ich lief deshalb reichlich nervös in der Bahnhofshalle Braunschweig auf und ab. Zwei mir bekannte Gesichter hatte ich gesehen, aber wenn wir wirklich nur zu Dritt wären, würde es kaum eine Aufsehen erregende Aktion werden.
Es war der 8. September 2007: In 50 Bahnhöfen im ganzen Land schauten Freundinnen und Freunde der Eisenbahn auf die großen Bahnhofsuhren. Und pünktlich um fünf vor 12 Uhr schlugen sie Lärm.
Es war so normal ruhig gewesen in der Halle und ein, zwei oder drei lange Sekunden nach dem entscheidenden Sprung des Zeigers passierte auch noch nichts. Aber dann!
Dann gellten Trillerpfeifen. Topfdeckel knallten aufeinander, Hände klatschten.
Ich hätte nicht gedacht, dass es so massiv laut sein könnte, außer mir trug etwa ein Dutzend weiterer Leute zu dem Lärm bei. Und nach genau zwei Minuten war schlagartig Ruhe.
Jetzt hielten all die Flashmobber*innen ein Schild in die Höhe mit einer eigenartigen Gleichung: 183 = 13.
Diese Gleichung ist natürlich keine. Sie sollte kritisieren, dass bei den Plänen zur Privatisierung und zum Börsengang der Bahn massiv öffentliches Eigentum verschleudert werden sollte.
Denn 183 Milliarden war der damals geschätzte Wert des Gesamt-Unternehmens Deutsche Bahn, beim Verkauf der Hälfte wollte das Finanzministerium aber nur sechseinalb Milliarden erlösen, als ob sich die 183 eben auf magische Weise in eine 13 verwandelt hätte.
Kurz nach der Aktion, die so vielen Menschen die Ohren hatte klingeln lassen und die auch bundesweit große Aufmerksamkeit in Zeitungen, Radio und Fernsehbeitragen erlebte, interviewte die Wirtschaftswoche den damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn:
„Herr Mehdorn, wissen Sie, was ein Flashmob ist?“ Er wusste und gab etwas launig zur Antwort, dass dafür Attac die Menschen im Land aufrufe, Unruhe in Bahnhöfen zu stiften.
Ich habe Stefan bei Attac kennengelernt. Aber er hat auch davor schon viel Engagement an den Tag gelegt und damit Menschenbeeindruckt.
So schrieb Herbert Swoboda, eine Koriphäe in der Welt der Pfadfinder: „Stefan Diefenbach profilierte sich innerhalb des BDP Main Taunus Kreis als Hauptaktivist der vereinseigenen Zeitung. Dort sorgte er nicht nur für Fahrten-und Lagerberichte u.a. aus den neuen Bundesländern nach der Vereinigung,sondern auch für theoretische Diskussionen, die sich auch um die Meinungsfreiheit drehten. Damals wurde wahrscheinlich der Grund gelegt für seine spätere Entscheidung in Leipzig zu studieren und zwar neben Journalismus auch Arabistik.“
In einem Leben schließen sich mehrere Kreise. Der emeritierte Professor Swoboda, der an der Fachhochschule Frankfurt Migrationsstudien und interkulturelle Kommunikation lehrte und unermüdlich für unabhängige, emanzipatorische Kinder- und Jugendarbeit stritt, nennt eine „legendäre Marokkofahrt des BDP Main Taunus“ und den weiter bestehenden Kontakt zur marokkanischen Community in Swalbach als Anstoß für Stefans Studium der Arabistik. Heute ist der Marburger Stefan Diefenbach Trommer auch engagiert für die Städtepartnerschaft mit dem tunesischen Sfax. Aber springen wir zurück in die Nullerjahre.
Bevor Stefan Diefenbach Trommer 2006 zu seinem Job bei der Kampagne „“ahn für Alle“ kam, arbeitete er in Marburg als freier Mitarbeiter der Oberhessischen Presse.
Heute sagt er, dass der Ruf nach Frankfurt ins Attac-Büro ein Glücksfall für ihn war und ein Einstieg in die Bewegungswelt. Dieser Einstieg war aber nicht nur für Stefan ein Glück. Seine Kollegin im Frankfurter Büro, die weiterhin dort arbeitende Pressesprecherin Frauke Distelrath schrieb mir gestern: „Egal welches Thema man ihm gibt (oder er sich aussucht), er ist in kürztester Zeit Experte.“
2008 wollte er erneut etwas wissen. Er verließ im Laufe des Jahres nach zwei Jahren in der Bahnkampagne das Büro des globalisierungskritischen Netzwerks, um etwas Neues zu wagen.
Als sich Stefan Diefenbach-Trommer 2008 nach Hamburg orientierte hatte er einmal mer den richtigen Riecher. Der bundesweit bekannte Anti-Atom-Aktivist Jochen Stay wollte sich dem Erlahmen der Anti-Atom-Bewegung entgegen stellen und suchte einen Partner, um eine kleine NGO auf die Beine zu stellen, die sich voll und ganz in den Dienst des Atomausstiegs stellt. Eine Organisation, die informiert und mobilisiert, die mit politischen Entscheidungsträger*innen streiten und verhandeln kann und in den Medien als „zitierfähig“ wahrgenommen wird.
Die junge Organisation forderte – wie wohl alle jungen Projekte, deren Kapital vor allem in der großen Energie einer guten Idee und der Begeisterung ihrer Initiator*innen liegt – mehrere Jahre die volle Energie von Stefan Diefenbach-Trommer. Und aus Marburg und Hamburg konnte .ausgestrahlt die Dynamik der Anti-Atom-Bewegung deutlich steigern.
Es wurde ja auch richtig spannend. Erinnern Sie sich noch daran, wie Angela Merkel 2010 mit der ganzen Autorität der Regierungschefin und studierten Physikerin erklärte, dass der Weiterbetrieb der Atomanlagen das Gebot der Stunde sei? Nur um ein halbes Jahr später mit derselben Autorität die sofortige Abschaltung der ersten acht Anlagen zu erklären und den Atomausstieg bis 2022 zu verhandeln.
Zwischen diesen beiden Szenen überrollte ein Tsunami die japanische Küste, havarierte das Atomkraftwerk Fukushima – und zog die kleine Organisation .ausgestrahlt alle Register. Mit einigen Partnerorganisationen aus der Umweltbewegung gelang es Jochen Stay und Stefan Diefenbach-Trommer, innerhalb kürzster Zeit zahlreiche Demonstrationen in gleich mehreren Städten auf die Beine zu stellen. Hunderttausende gingen gegen die Atomkraft auf die Straße. Und Angela Merkel sah eine Landtagswahl in Baden-Württemberg kommen, die mit einem Pro-Atom-Kurs nicht mehr zu gewinnen war.
Stefan Diefenbach Trommer hat sich in diesen Jahren ein unglaubliches Fachwissen im Bereich Fundraising angeeignet. Es war eine Überlebensfrage für die kleine Organisation, aber es wurde zu einem Wissensschatz, den er bis heute oft und gerne weitergibt.
Das nächste große Projekt Stefans hat wieder mit Attac zu tun, auch wenn es über dieses eine Bewegungsnetzwerk hinaus geht. Und auch ich war wieder ziemlich unmittelbar betroffen: Das Finanzamt hatte Attac im April 2014 die Gemeinnützigkeit entzogen. Ich war damals Mitglied im bundesweiten Koordinierungkreis des globalisierungskritischen Netzwerks und nahm selbst am ersten Krisengespräch mit dem Finanzamt sowie an zahlreichen Strategietreffen zum Umgang mit der Lage teil.
Die Finanzämter in Deutschland überprüfen gemeinnützige Organisationen regelmäßig meistens alle zwei oder drei Jahre und stellen dann – immer rückwirkend – einen neuen Freistellungsbescheid aus. Oder eben nicht. Das Frankfurter Finanzamt hatte überhaupt kein Problem mit den Zahlen und der Korrektheit der vorgelegten Jahresabschlüsse von Attac. Aber es stellte in den Raum, dass das politische Engagement von Attac über die im gesetzlich festgelegten Katalog der erlaubten gemeinnützigen Zwecke der Abgabenordnung hinaus ging. Zwar sei die Förderung der Volksbildung ein gemeinnütziger Zweck, aber diese Bildung dürfe nicht an tagespolitisches Geschehen geknüpft sein.
Das lässt sich aus vielen Perspektiven trefflich in Frage stellen. Die Hirnforschung bestätigt längst auch auf der wissenschaftlichen Ebene, was die Pädagogik und die Sozialen Bewegungen seit Jahrzehnten wissen: Menschen lernen, wenn sie sich wirklich interessieren.
Begeisterung für ein Thema, eine persönliche Betroffenheit, die Chance, Selbstwirksamkeit zu spüren – das sind zentrale Momente, die uns helfen, Faktenwissen zu verinnerlichen. Wer selbst etwas anpackt – kommt einer Sache näher. Während der Attac-Bahnkampagne zum Beispiel hat mich immer wieder tief beeindruckt, wie viele junge und ältere Menschen im ganzen Land sich schlau gemacht haben über Mobilität, über Eigentums- und Betriebsmodelle von Eisenbahnen und zum Beispiel ihre jeweiligen Bundestags-Abgeordneten präzise befragen konnten zu den öffentlich gepriesenen Vorteilen und den gut begründet zu befürchtenden Nachteilen der Privatisierung.
Schon das passt zu Stefan, dem Streiter für Meinungsbildung und Meinungsfreiheit. Die andere Perspektive – und diejenige, die schließlich für den Experten Stefan Diefenbach-Trommer zur zentralen Ebene der Auseinandersetzung wurde: Für eine Organisation wie Attac bedeutet der Entzug der Gemeinnützigkeit eine Herausforderung auf mehreren Ebenen. Er kann die Weiterarbeit wertvoller zivilgesellschaftlicher Organisationen in Frage stellen:
* Attac und andere Organisationen benötigen Spenden, um ihre Arbeit tun zu können. Wichtig ist die Möglichkeit, sich mit einer Spendenquittung zu revanchieren.
* Für viele Organisationen ist es zentral, Anträge stellen zu können. Aber die meisten Stiftungen, staatlichen und privaten Geldgeber*innen setzen Gemeinnützigkeit für eine Förderung voraus.
* Und dann geht es auch noch um die Möglichkeit, z.B. Räume anzumieten für Sommer-Akademien u.ä. Attac hat seit 2014 große Schwierigkeiten, positive Entscheidungen z.B. von Stadträten zu bekommen, die günstige Räume wie Schulen nur an gemeinnützige Gruppen vergeben möchten.
Dass daraus eine Gefahr erwächst für die gesamte Zivilgesellschaft erkannten viele Aktive in Umwelt- und entwicklungspolitischen Organisationen und bei Campact.
Auch zahlreiche Förderstiftungen sahen ihre Arbeit in Gefahr. Denn sie dürfen auch bewährte Partner, oft bereits langjährig geförderte Projekte nach dem Verlust der Gemeinnützigkeit nicht mehr unterstützen. Sonst gefährden die Stiftungen selbst ihre Gemeinnützigkeit.
So kam es zur einigen Austauschtreffen und schließlich zur Gründung der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“. Und diese junge Allianz hatte Glück: Stefan Diefenbach-Trommer konnte sich nämlich vorstellen, ihr tatkräftig beiseite zu stehen und wurde ihr erster und bisher einziger Vorstand und Koordinator.
„Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ – Das klingt sperrig und ist es manchmal auch. Denn das Gemeinnützigkeits-Recht ist komplex und etwas aus der Zeit gefallen.
Dass es nicht bleiben kann, wie es ist, darüber ist noch ein Konsens herzustellen. Allein der Katalog der gemeinnützigen Zwecke genügt den Anforderungen nicht.
Als er in den 70er Jahren geschrieben wurde, kannte das Land das Internet noch gar nicht und die Dimensionen beispielsweise des Datenschutzes, die heute so dringend zu beachten sind.
Als er geschrieben wurde, waren einige Interessengruppen fix dabei und erreichten die explizite Nennung beispielsweise des Schachspiels als gemeinnützig – während die Förderung der Realisierung der Menschenrechte überhaupt nicht in der Liste vorkommt.
Jünger, weil erst nachträglich in den Katalog aufgenommen, ist die Förderung des Umweltschutzes und dazu gab es später auch ein wegweisendes Urteil: Wer Umweltschutz fördern möchte, muss tatsächlich auch mal zu tagespolitischem Geschehen das Wort erheben.
Aber für die Bildungsarbeit am aktuellen Gegenstand gilt das laut Frankfurter Finanzamt und schließlich auch dem Urteil des BFH von 2019 nicht. Noch viel zu tun.
Haarsträubende Ungerechtigkeit: Unternehmen können ihre Lobbyarbeit über Werbungskosten absetzen.
Und was ist mit eventuell unliebsamen Organisationen? Was bedeutet es im Alltag, dass es große Spielräume für jedes Finanzamt gibt, das die Gemeinnützigkeit einer Organisation zu überprüfen hat? Bis heute fragen sich Attac-Aktive, ob ihr Netzwerk neben der Tatsache aktueller Aufhänger für Kampagnen und Aktionen nicht auch zu unbequem geworden war. So waren zumindest einzelne Attac-Aktive immer wieder auch im Zusammenhang mit Protesten an der Europäischen Zentralbank aufgetreten, im sogenannten „Blockupy-Bündnis“.
Und diese Frage wurde lauter, als der VVN/BdA 2019 die Gemeinnützigkeit verlor. Wie gut, dass die Zivilgesellschaft in diesem Land Stefan Diefenbach Trommer hat, den unermüdlichen Lobbyisten für ein faires Gemeinnützigkeits-Recht!
Ich habe eingangs vom Flashmob erzählt, den Stefan Diefenbach-Trommer im Rahmen der Kampagne gegen den Börsengang der Bahn organisiert hat. Gerne würde ich jetzt mit Ihnen zusammen einen Flashmob für unseren Preisträger organisieren.
Ich habe hier eine Uhr mitgebracht, die zwar keine Bahnhofsuhr ist, aber doch gut erkennbare Zeiger hat. Folgen Sie mir in eine virtuelle Bahnhofshalle.
Ich möchte Sie bitten, ihren Platz zu verlassen. Bitte gehen sie entspannt durch den Raum. Halten Sie den Abstand, der in den Zeiten der Pandemie so wichtig geworden ist. Und behalten Sie die Uhr im Blick.
Wenn der Sekundenzeiger das nächste Mal auf die Zwölf springt, dann bitte ich Sie, mit mir gemeinsam Lärm zu schlagen: Applaudieren Sie für Stefan Diefenbach-Trommer. Stampfen Sie gerne auch mit den Füßen auf. Pfeifen Sie! Wir machen gemeinsam ein 60-sekündiges Lärmkonzert zu Ehren des Preisträgers des Marburger Leuchtfeuers! Herzlichen Dank!