Preisbegründung: Helena Steinhaus setzt sich für menschenwürdige Grundsicherung ein

Helena Steinhaus erhielt das „Marburger Leuchtfeuer“ 2025. Die Preisbegründung der Jury hat deren Sprecher Egon Vaupel am 12. Juni 2025 im Marburger Rathaus vorgetragen.
Mit dem „Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte“ würdigen die Universitätsstadt Marburg und die Humanistische Union (HU) das Eintreten von Helena Steinhaus für einen angstfreien Bezug von Sozialleistungen. Die Trägerin des Marburger Leuchtfeuers 2025 ermutigt Leistungsberechtigte, ihr Recht auf Teilhabe selbstbewusst und ohne Scham wahrzunehmen.
Helena Steinhaus fügt sich hervorragend ein in die lange Liste der bisherigen Preisträgerinnen und Preisträger. Sie macht da weiter, wo die Leuchtfeuer-Preisträgerin Inge Hannemann aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten musste. Gemeinsam mit ihr hat Steinhaus 2016 den Verein „Sanktionsfrei“ gegründet.
Vehement wendet sich dieser Verein gegen eine Drangsalierung von Menschen im Leistungsbezug. Er räumt auf mit Vorurteilen und Falschbehauptungen über Bezieherinnen und Bezieher des Bürgergelds und anderer staatlicher Sozialleistungen. Entschieden weist auch die Jury Narrative zurück, wonach sich Menschen im Leistungsbezug angeblich auf Kosten des Staates ein angenehmes Leben leisten wollen.
Erschreckend viele Kinder, Alleinerziehende sowie Menschen mit Behinderungen sind auf Leistungen angewiesen, weil Staat und Gesellschaft im Alltag ihre Lebensumstände nicht ausreichend berücksichtigen. Armut ist in aller Regel nicht das Ergebnis von Faulheit, sondern die Folge staatlichen oder gesellschaftlichen Versagens und unsolidarischer Gesetzgebung. Auf diese Zusammenhänge weist Helena Steinhaus mit ihrem Verein „Sanktionsfrei“ immer wieder hin.
In zahlreichen öffentlichen Auftritten hat sie auf die psychischen Folgen hingewiesen, die eine Sanktionierung von Menschen im Leistungsbezug haben kann: Ohnehin schon benachteiligte Menschen werden durch die Androhung von Sanktionen eingeschüchtert, gedemütigt sowie in Angst und Schrecken versetzt. Rechtsbehelfsbelehrungen in Bescheiden wirken für viele wie eine seelische Strafe. Nicht zu Unrecht sehen sie in Sanktionsandrohungen einen Ausdruck staatlichen Misstrauens und eine subtile Vorverurteilung.
Obwohl die Regelsätze des Bürgergelds das soziokulturelle Existenzminimum kaum ausreichend gewährleisten, können Sanktionen der Sozialbehörden die Leistungen noch verringern. Die Furcht vor solchen Sanktionen kann – und soll vermutlich auch – Überanpassung und Duckmäusertum der Leistungsbeziehenden bewirken. Insbesondere Eltern und Familien geraten dadurch zunehmend unter Druck, da sie eine weitere Vermehrung der Not ihrer Angehörigen unbedingt vermeiden wollen.
Helena Steinhaus weiß aus eigener Erfahrung, was das bedeutet: Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter hat die Geschäftsführerin des Vereins „Sanktionsfrei“ in ihrer Jugend zeitweise selbst staatliche Leistungen –
„Hartz IV“ – bezogen. Unermüdlich weist sie auf die Folgen hin, die Sanktionen, die Stigmatisierung sowie die finanzielle Not im Allgemeinen für die Betroffenen, ihre Angehörigen und ihr soziales Umfeld haben. Zudem unterstützt und berät der Verein „Sanktionsfrei“ Leistungsbeziehende juristisch und finanziell.
Eine menschenwürdige Existenzsicherung ist elementare Grrundbedingung jeder Demokratie. Ausgrenzung und Abstiegsängste hingegen gefährden die Demokratie in ihren Grundfesten. Die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen gigantischen Vermögen und schambehafteter Armut stellt nach Auffassung der Jury eine der größten Gefahren für die Demokratie dar.
Mit Sorge muss die Jury feststellen, dass die Stigmatisierung sozial benachteiligter Gruppen in jüngster Zeit zunimmt und einer gesellschaftlichen Spaltung in angeblich „Faule“ und „Fremde“ sowie die vermeintlich „fleißigen Deutschen“ Vorschub leistet. Solchen Sündenbock-Strategien stellt sich die diesjährige Leuchtfeuer-Preisträgerin mit Argumenten und Engagement entgegen. Mit dem Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte möchte die Jury Helena Steinhaus ermutigen, ihre wichtige Arbeit als Aufklärerin über Armut und Anwältin der davon Betroffenen mit der bisherigen Kraft und Konsequenz weiterzuführen.

* Egon Vaupel