Zur Notwendigkeit des Einsatzes für Soziale Bürgerrechte – Dankesrede des Preisträgers

Rolf Schwendter

Der Preisträger Prof. Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter bedankte sich für das "Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte". (Foto: Alexandra Appel)

Preisträger Prof. Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter bedankte sich am 30. Juni 2008 im Historischen Saal des Marburger Rathauses für das Marburger Leuchtfeuer.

Allen Anlaß habe ich, mich bei der Humanistischen Union – dass heißt ihrer Ortsgruppe Marburg, bei der Jury für das Marburger Leuchtfeuer 2008 wie bei der Stadtverwaltung Marburg – für die Ehre zu bedanken, die die Zuerkennung des Marburger Leuchtfeuers 2008 für mich bedeutet. Gehöre ich doch einer Generation an, welche in den allermeisten Fällen eher gewohnt ist, belächelt, herablassend behandelt oder gar beschimpft als geehrt zu werden. Es freut mich, dass der bisherige Verlauf des heutigen Vormittags in eine dazu diametrale Richtung gegangen ist.
In gewisser Hinsicht schließt sich damit ein Kreis, dessen Bewegung es mir ermöglicht, noch in anderer Weise meine Dankesschuld an die Humanistische Union abzutragen. Als ich vor einigen Jahrzehnten noch ein jüngerer Mensch war, waren es nicht allzu selten gerade Mitglieder der Humanistischen Union, von welchen ich am meisten gelernt habe. Beispielsweise nenne ich hier den Mitbegründer der Zukunftsforschung, Ossip Flechtheim, den vor wenigen Wochen verstorbenen engagierten Psychoanalytiker Hans Kilian, sowie meinen langjährigen Kollegen Ulrich Sonnemann.
Bedauerlicherweise fürchte ich, dass die Vergabe des Marburger Leuchtfeuers noch auf längere Sicht hin erforderlich sein wird. Um die sozialen Bürgerrechte steht es nach wie vor schlecht. Den allermeisten Menschen, sofern sie nicht selbst unmittelbar betroffen sind, erscheinen selbst die Allgemeinen Bürger- und Menschenrechte als zu viel, als Thema einer Sonntagsrede in den jeweils besseren Tagen. Entgegen der berühmten Sätze von Voltaire und Rosa Luxemburg besteht ihnen die Meinungsfreiheit zuvörderst für die jeweils eigene Meinung, die Pressefreiheit für das Recht, auf möglichst marktschreierischer Weise viel Geld zu verdienen, das Asylrecht für das Ensemble von Maßnahmen, viele Menschen vom jeweiligen Staatsgebiet außen vor zu halten. Dies, um nur wenige Beispiele zu nennen. Erst recht gilt dies für die sozialen Bürgerrechte.
Vom Recht auf Arbeit etwa spricht niemand mehr, der nicht als unmittelbare Reaktion einen Lachanfall der Bessergestellten provozieren möchte. Das Recht auf Grundsicherung zählt zum Geheimwissen kleiner, spezialisierter Teile so gut wie aller politischen Parteien – im Zweifelsfall wird die empirische Mittelknappheit einfach zur Grundsicherung umdefiniert. Hartz IV hat verbal beansprucht, zu fordern und zu fördern – die Wirklichkeit ergibt einen Gleichklang von Streichungen und Vernachlässigungen. So könnte es endlos weitergehen.
Daher kann ich mich bei den Forderungen zu meinen Leidwesen sehr kurz fassen. Mehr oder weniger sämtliche in den vergangenen Jahren erhobenen Forderungen sind weitgehend gültig geblieben. Um wiederum nur wenige Beispiele zu erwähnen: Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie hat bereits 1980 gefordert, die psychiatrischen Großkrankenhäuser – letztlich nach italienischen Vorbild – abzuschaffen. Es gibt sie immer noch. Im Gegenteil: In Wien gibt es gerade wieder aktuelle Konflikte, dass „unruhige“ Internierte in Netzbetten gesteckt worden sind- und dass im darob eingesetzten Untersuchungsausschuss Psychiatrie-Erfahrene kein Rederecht haben sollen.
Schon Adorno hatte gefordert: „Zart ist allen das Gröbste, dass nirgends Hunger herscht!“ Zwischenzeitlich darf, trotz aller Tabus, darüber gesprochen werden, dass eine Million Kinder in Deutschland hungert.
In Würde zu altern, ist gewiß ein wichtiges Postulat sozialer Bürgerrechte. Was hingegen der Realität entspricht, ist eine weiterhin gesetzte Priorität auf kustodiale Alten- und Pflegeheime, die imstande sind, Menschen in meinem Alter Angst vor den letzten Lebensphasen zu machen. Auch die könnte fortgesetzt werden.

Prof. Dr. Dr. Dr. Rolf Schwendter