Wir sanften Irren und die weiße Kutsche – Dankesworte des Preisträgers Lutz Götzfried

Lutz Götzfried

Preisträger Lutz Götzfried halt eine Dankesrede

Der Preisträger Lutz Götzfried dankte im Historischen Saal des Rathauses für die Auszeichnung.

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Juroren der Humanistischen Union, lieber Herr Vaupel lieber Herr Hanke, lieber Roland, liebe Pamela, liebe MObiLOs und Familienangehörige, Liebe Freundinnen, Freunde und Weggefährten, verehrte interessierte Anwesenden, die Sie mir die Ehre geben, heute hier zu sein!

Als Herr Hanke mich anrief und mir die leuchtende Botschaft überbrachte, war das natürlich eine große Überraschung für mich, denn ich wäre bei der Auswahl des Preisträgers nie auf mich selber gekommen und auch nicht darauf, dass ich einmal die Ehre habe, zu dem besonderen Kreis der bisherigen Preisträger gehören zu dürfen. Nachdem dann aber viele meiner Freunde gesagt haben, „ja Lutz, mach dir mal keine Sorgen, diese Auszeichnung haste doch verdient…“ und ich die Ausführungen meiner Vorredner und die vielen anerkennenden und wohltuenden Worte zu meiner Arbeit gehört habe, nehme ich die Auszeichnung nun gern und ohne wenn und aber und frohen Mutes an. Ich bin sehr glücklich darüber. Ganz herzlichen Dank Ihnen allen für die hohe Wertschätzung meiner Arbeit.

Aber ich sehe in der Auszeichnung auch eine Würdigung der vielen Förderer und Helfer, die das Projekt MObiLO so erfolgreich gemacht und dahin gebracht haben, wo es jetzt steht. Und da möchte ich gleich am Anfang meiner Dankesrede ganz besonders meiner lieben Frau Carin danken: danken dafür, dass Du stets Verständnis für meine allzu häufige Abwesenheit hattest und dass Du Dir stets die vielen Probleme, die es natürlich auch immer gab und die ich oft mit nach Hause brachte, so geduldig angehört und mitgetragen hast. Inzwischen gehörst Du ja selbst zur MObiLO-Familie und stehst uns mit Sensibilität und einem realistischen Blick für das Richtige bei schwierigen Entscheidungen als 1. Vorsitzende mehr als hilfreich zur Seite. Du bist nicht nur ein Glücksfall für mich, sondern für uns alle.

Des Weiteren ein großes Dankeschön an Andrea Buchenauer. Du hast uns nicht nur damals erfolgreich aus unserem buchhalterischen Anfangschaos gerettet, sondern hast stets weit über Deine Stelle als Geschäftsführerin hinaus viel ehrenamtliche Arbeit in unser Projekt eingebracht und dabei viel Verantwortungsgefühl für unsere MObiLO-Familie gezeigt.

Es ist dieses Familiäre, das insbesondere durch die ehrenamtlich Tätigen in den Verein kommt und was unser Projekt so besonders macht. Dazu gehört auch die unermüdliche, ehrenamtliche Mitarbeit von Brigitte Scholz, unsere 2. Vorsitzende – ich glaube Du hast in all den Jahren jeden Marburger mindestens zweimal abgefüttert und zwar auf höchstem gastronomischen Niveau. Auch Halina Pollum, Pia Gattinger und Michael Andratschke gehören zum MObiLO-Vorstand und sind maßgeblich beteiligt, dass unser Projekt so erfolgreich geworden ist.

Einen weiteren besonderen Dank an Margret Rusch und Barbara Meyer. Wann immer es irgendwo eng wird, seid Ihr zur Stelle – und so auch Dieter Schneider, der schon mal seinen Besuch zu Hause sitzen lässt, um schnell mal auf den Berg ins gestresste TurmCafé zu fahren, weil dort ein riesen Berg Geschirr zu spülen ist.

Und nun „last but not least“ noch eine Flut von Dankeschöns an Ute Cellak und das ganze Mitarbeiter- und Ehrenamtlerteam. Ja, wir ziehen alle an einem Strang und ich danke Euch sehr für Euren unermüdlichen Einsatz, der natürlich die Basis unseres Projektes ist. Ihr seid es, die dafür sorgen, dass unsere Gäste nicht nur wieder kommen, sondern hochzufrieden und oft geradezu begeistert von der Wohlfühlatmosphäre unseres TurmCafés schwärmen.

Ja und nun auch noch ein letztes aber nicht minder großes Dankeschön an unsere Marburger Mitbürger, von denen wir uns schon von Anbeginn angenommen fühlen und die uns in all den Jahren mit immer höheren Besucherzahlen frequentiert und belohnt haben.

Hier aber auch noch schnell ein kleiner Hauch Gejammere – die Besucherzahlen und Buchungen von großen Firmen- und Familienfeiern sind so angestiegen, dass wir dringend bauliche Erweiterungen brauchen, denn wir bewegen uns mit unserer räumlichen Situation an der Grenze des Machbaren. Wir befürchten bereits, dass wir die räumliche Enge und den Stress durch unsere Wetterabhängigkeit unsere Arbeit bald nicht mehr bewältigen könnten und an unserem eigenen Erfolg scheitern könnten. Wir brauchen da dringend Hilfe.

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Aber ich sehe im hellen Schein des Leuchtfeuers auch noch eine andere Intension der Juroren der Humanistischen Union, nämlich die Würdigung der besonderen Konzeption des Projektes, das ja ganz bewusst auf eine Finanzierung durch einen gesetzlichen Kostenträger verzichtet hat und seine Existenzgrundlage mit viel Kreativität und Gottvertrauen auf den Boden der freien Marktwirtschaft gestellt hat. Mit dieser leistungsorientierten Selbstfinanzierung sollte für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die in professionell arbeitenden Einrichtungen arbeiten oder leben, die übliche und unvermeidbare Rollenteilung in die Gruppe der Betreuer und die der Betreuten gar nicht erst aufkommen.

Es ist die Symptomatik aller Institutionen, die in den Teufelskreis „einmal krank, immer krank“ führt, weil die professionellen Helfer ihre Patienten, Klienten oder Betreuten am liebsten wiederum an Professionell geführte Institutionen vermitteln und selten oder nie an einen marktwirtschaftlich orientierten Betrieb ohne psychiatrisches Fachpersonal.

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Ich möchte nun, zum Schluss meiner Rede auch noch etwas Fleisch und Blut in meine Rede bringen und ihnen etwas aus dem Nähkästchen der guten alten Sozialpsychiatrie erzählen – genauer gesagt aus der Entstehungsgeschichte des Psychiatrie-Kabaretts damals, in den 70er Jahren. Ich freue mich an dieser Stelle, dass ich Natali Vasdef unter den Anwesenden entdeckt habe, die mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Wohnheimes Sauersgäßchen der Bürgerinitiative Sozialpsychiatrie befreundet war und viele Jahre als Ensemblemitglied des Psychiatrie-Kabaretts mit uns unterwegs war.

Das Ziel des damaligen Kabarett-Projektes war es, die von Medikamenten gedämpften und von der Angst vor einer erneuten Krisenerkrankung verdrängten, verschütteten oder geheim gehaltenen Emotionen mittels Inszenierung eines psychiatrischen Kulturprogrammes, das für die unbedarfte Öffentlichkeit bestimmt sein sollte, zu thematisieren und dadurch wieder kommunizierbar werden zu lassen. Hierzu eine Erinnerung aus dem Jahr 1976 – ich war damals ganz fasziniert von dieser Idee und textete hoch motiviert einen ersten Psychiatrie-Song. Es war eine Umdichtung der Moritat „Mariechen saß weinend im Garten“. Der Song triefte ganz im Sinne einer Moritat von Moral und strotzte von erhobenen Zeigefingern, denn das verliebte Mariechen litt unter dem Spannungsfeld zwischen ihren libidinösen Wünsche und den moralischen Schuldzuweisungen ihrer Eltern. Als Mariechen dann in einem Affekt die Hand gegen die Eltern erhob, wurde sie von einer weißen Kutsche und weiß gekleideten Herren abgeholt und in ein weißes Bett gelegt, in dem sie mittels Medikamenteneinnahme zur Ruhe kam und nun, befreit von der Last ihrer Emotionen, für immer in diesem weißen Bett und bei diesen freundlichen weiß gekleideten Herren bleiben wollte.

Als ich den Song zum ersten Mal unserer damaligen versammelten Bewohnerschaft vortrug, war ich innerlich noch nie so aufgewühlt und von einer großen diffusen Angst erfasst, mit diesem Song vielleicht eine Katastrophe auszulösen. Ich sang ihnen mit Herzrasen und weichen Knien den Song vor. Unsere Bewohnerschaft hörte ihn sich schweigend bis zur letzten Strophe an und war dann in zwei Lager gespalten. Die einen fanden den Song ganz toll mit der Anmerkung „ja ja, genau so ging es mir auch“; andere waren empört und fanden es unmöglich, aus einer so tragischen Lebensgeschichte ein Lied zu machen. Aber – alle waren erwacht und emotional mit der Frage beschäftigt, ob man so etwas singen darf oder gar sollte oder dies auf gar keinen Fall machen darf.

Der Text des nun folgenden Songs stammt von dem Münchner Lokaldichter Peter-Paul-Althaus, der auch Psychiatriepatient war und ein ganzes Bändchen Gedichte geschrieben hat, die allesamt den Titel tragen „Wir sanften Irren“. Auch dieser Titel beinhaltet ja einen Tabubruch. Das Positive daran, ein Tabu besprechbar zu machen ist, dass die Angst davor, zum Beispiel irre zu sein, weil dieses Wort tunlichst nie ausgesprochen wird, sehr groß sein kann und dieses Tabu zu einer kommunikationsblockade führen kann.

Wenn dieses Wort „Irre“ dann aber doch aus der Tabuzone geholt wird, gibt es zwar zunächst eine Schrecksekunde, aber danach taucht der Mensch wieder auf. Plötzlich ist es möglich, über das Irresein zu sprechen, was es bedeutet; und Beziehung wird wieder möglich.

Ich danke Ihnen allen für diesen wunderbaren Tag.

Lutz Götzfried
Video der <a href=“https://www.youtube.com/watch?v=I05h93YjlbY“>Dankesworte des Preisträgers</a>

Leuchtfeuer 2016 – Dankesworte des Preisträgers – Lutz Götzfried/a>

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