Laudatio von Karolin Schwarz: Katharina Nocun engagiert sich auf vielfältige Weise

Karolin Schwarz – Laudatio für Katharina Nocun, Foto: D. Pavlovic

Ihre Laudatio auf die Preisträgerin Katharina Nocun hat Karolin Schwarz am 9. Juni 2017 im Historischen Saal des Marburger Rathauses gehalten. Schwarz hat im Februar 2016 das Projekt „hoaxmap.org“ gegründet und arbeitet bei correctiv.org.
Liebe Anwesende, liebe Jury, liebe Katharina Nocun,
Vielen Dank für die Einladung, diese Laudatio auf Katharina Nocun zu halten. Als Frauen, die im Internet sichtbar und aktiv sind, eint uns vieles, darunter nicht zuletzt die Anerkennung, aber auch die Beleidigungen und Bedrohungen, die wir erfahren. Bisweilen eint uns vermutlich auch der Schlafmangel.
Ich habe mich sehr gefreut, als ich erfahren habe, dass Katharina das Marburger Leuchtfeuer erhalten soll. Weil ich ihre Arbeit seit Jahren verfolge und schätze und nicht zuletzt, weil sie eine von noch viel zu wenigen ist, die Theorie und Praxis, online und offline zu vereinen wissen.
Unter dem spürbaren Aufwind rechtspopulistischer Parteien und gleichermaßen populistischer Forderungen aus den etablierten demokratischen Parteien gilt das Internet vielen als Sündenbock oder zumindest als Wegbereiter für die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und den Hass, der sich Bahn bricht. Und ja, der Hass ist erschreckend. Er betrifft vor allem Geflüchtete, nicht-weiße Menschen, Juden, Menschen mit Behinderungen und einige andere Gruppen. Und er betrifft Frauen unverhältnismäßig stark.
Unter massiven Beleidigungen und Bedrohungen treten viele den Rückzug aus den sozialen Medien an. Aktivistinnen und Aktivisten verstummen.
Und: Theresa May bezeichnete das Internet jüngst als einen sicheren Ort, an dem Terroristen ihre Pläne ausbrüten könnten. Doch dazu später.
Das Internet kann aber auch Chance sein. Wenn wir es endlich als einen Raum für politisches – für zivilgesellschaftliches Engagement verstehen, in dem nicht einige wenige aktiv sind und im schlimmsten Fall ausbrennen, sondern viele ihre Stimme gegen Unrecht erheben, ihre und die Rechte anderer verteidigen und unsere Gesellschaft aktiv mitgestalten. Katharina Nocun arbeitet unermüdlich daran, das Netz zu einem solchen Raum zu machen.
Wir leben in Zeiten, in denen es Populisten zunehmend gelingt, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, und denen die Selbstinszenierung und die Verdrehung von Wahrheiten als zwei der wichtigsten politischen Techniken dienen. Und es funktioniert: Noch immer springen viele Journalisten und Politiker über jedes der berühmten Stöckchen der AfD.
Dabei ist längst bekannt, dass das Kalkül ist. Vor wenigen Monaten wurden Inhalte eines Strategiepapiers öffentlich, in dem es unter anderem heißt, die Partei müsse, Zitat: „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein“.
Eine Strategie, die dazu führen soll, möglichst unüberlegte und unfaire Reaktionen herbeizuführen. Es heißt deshalb weiter, Zitat: „Nicht die AfD darf das Gespräch verweigern, die Altparteien müssen es ablehnen.“

Und während so viele noch nach Lösungen suchen, dekonstruiert Katharina Nocun die Parteiprogramme der AfD. Die Preisträgerin hat sich unermüdlich durch die Wahlprogramme der AfD gekämpft und gezeigt, welche Positionen die Partei vertritt.
Sei es die Forderung zur Verpflichtung zur Bürgerarbeit für Langzeitarbeitslose oder aber „Einwanderer“, die Hartz IV erhalten – eine Forderung, die je nach Landesverband auch mal variiert; die Forderung nach mehr Videoüberwachung inklusive Gesichtserkennung, die ein Mitglied des Programmausschusses der Bundespartei mit der angeblichen Vermummung Geflüchteter beim Grenzübertritt begründet; oder die Ablehnung von Mindestlohn und Erbschaftsteuer.
Katharina wurde in Polen geboren und kam gemeinsam mit ihren Eltern nach Deutschland. Auch damals, in den 1990er Jahren, kamen viele Menschen hierher. Und auch damals debattierte man über Integration, und rechte Parteien erfuhren durch gleichermaßen nationalistische wie rassistische und ausschließende Forderungen Aufwind.
Katharina ist, wie sie sagt, als Migrantin selbst betroffen von vielen der Forderungen der AfD und kann nachvollziehen, wie es denen ergeht, die in den vergangenen Jahren zu uns gekommen sind.
Die AfD vereint in sich viele Forderungen, die den Minderheiten der Gesellschaft gelten: Migranten, Geflüchtete, Muslime, Menschen, die nicht in das „traditionelle Familienbild“ passen, Alleinerziehende, und Hartz-IV-Empfänger.
Vor einigen Tagen saß ich auf einem Podium zum Thema Fake News und Factchecking. Im Publikum saßen zwei Herren von der AfD, die sich im Anschluss an die Debatte zu Wort meldeten.
Der Erste stellte zunächst die Frage, was denn überhaupt die „Wahrheit“ sei und illustrierte seine Ansichten an einer Studie, die erst vor kurzem veröffentlicht wurde. Es ging dabei um die Untersuchung dreier Orte in den neuen Bundesländern hinsichtlich rechtsextremer Einstellungen. Er selbst behauptete, dass die Forscher Personen und Aussagen erfunden hätten.
Richtig ist, das konnte ich ihm erwidern, dass zum Teil Namen erdacht wurden, um die Anonymität der Teilnehmenden zu wahren. Forschungsgegenstand waren Freital und Heidenau in Sachsen sowie ein Erfurter Stadtteil. Im weiteren Verlauf arbeiteten sich die beiden an den Weißhelmen in Syrien und der angeblichen Regierungspropaganda ab, die DIE Medien während des Sommers und Herbstes 2015 zu schreiben angewiesen worden seien.
Das sind drei mehr oder minder konkrete Beispiele, die immer wieder auftauchen. Kennt man die Themen sowie ihren Kontext nicht, fällt es schwer, konkret zu erwidern.
Nun ist es uns nicht möglich, mit jedem einzelnen zu diskutieren. Aber wir haben die Möglichkeit, Informationen aufzubereiten und zu publizieren und damit dafür zu sorgen, dass auch andere in einen Austausch treten können. Wenn wir den „“ourcecode“ der AfD, wie Katharina Nocun es nennt, nicht kennen, können wir ihn auch nicht entmystifizieren.
Auch Überwachung ist ein Thema, dass Katharina schon lange umtreibt. Der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung hat zu ihrer Politisierung beigetragen .
Spätestens seit dem 11. September 2001 stehen Muslime unter Generalverdacht, Terroristen zu sein oder Terrorismus zumindest gutzuheißen. Jeder einzelne Vorfall der letzten Jahre wurde genutzt, um Überwachungsmaßnahmen zu fordern. Und Überwachung betrifft oft zunächst jene, die Minderheiten angehören.
Dabei beschreiben Befürworter der Überwachung selten, welchen konkreten Nutzen diese im jeweiligen Fall gehabt hätte. Vielmehr geht es um den Aufbau einer Infrastruktur, die ein Maß an Kontrolle ermöglichen könnte, das erschreckend ist.
Erst vor wenigen Tagen forderten der bayerische Innenminister Joachim Herrmann und der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, die Überwachung von Kindern zu ermöglichen. Dabei wurde das Mindestalter für eine Überwachung erst 2016 von 16 auf 14 Jahre gesenkt.
Und Theresa May forderte nach den jüngsten terroristischen Attacken in Manchester und London Plattformbetreiber auf, Technologien zu entwickeln, die „aufwieglerische“ Inhalte automatisiert erkennen und entfernen. Inwiefern dann noch die Meinungsfreiheit gewährleistet werden soll, ist nicht bekannt. Ähnliches gilt für das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das derzeit hierzulande diskutiert wird.
Katharina Nocun erinnert kontinuierlich daran, welche kurz- und langfristigen Folgen Überwachung und die Ausweitung der Befugnisse von Geheimdiensten haben können. Zudem unterstützt sie Whistleblower wie Edward Snowden und hat Proteste, wie beispielsweise gegen ACTA, organisiert.
Katharina engagiert sich auf so vielfältige Weise für die Gesellschaft, dass man sich fragt, wann sie überhaupt noch Zeit hat, in Ruhe einen Kaffee zu trinken. Neben all den bisher genannten Dingen ist sie Beschwerdeführerin bei einer Verfassungsbeschwerde gegen die Bestandsdatenauskunft und die Vorratsdatenspeicherung, leitet in Schleswig-Holstein eine Volksinitiative gegen das Handelsabkommen CETA, sitzt im Beirat des Whistleblower-Netzwerks, ist Botschafterin der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen und war irgendwann auch mal in der Piratenpartei aktiv.
Katharina Nocun zeigt eindringlich, dass es allen möglich ist, etwas zu tun. Das Internet bietet eine schier unendliche Vielzahl an Möglichkeiten der Teilhabe. Von der Berichterstattung aus der Nähe rassistischer Demonstrationen über Twitter, der sich Straßengezwitscher in Sachsen angenommen haben, über die Organisation aktiver Gegenrede gegen den Hass über Facebook-Gruppen wie „ichbinhier“, über Crowdfundings für Projekte unabhängig der alten Strukturen. Oder über ein Kartenprojekt, dass die Masse an Falschmeldungen über Geflüchtete aufzeigt, wie mein Kollege und ich es bei der Hoaxmap getan haben.
Wir beide sind Teil einer Generation, die als politikverdrossen gilt. Dabei sind die Aufstiegsschancen in den meisten Parteien eher gering, die Strukturen veraltet. Die oft gescholtene Generation Y findet andere Wege für politische und gesellschaftliche Partizipation.
Und wir sollten nicht vergessen: Das Internet bietet marginalisierten Gruppen einen Raum, in dem sie sich abseits der alten Gatekeeper-Strukturen der Medien und Parteien, artikulieren und organisieren können. Sorgen wir dafür, dass sie diese Möglichkeit nutzen und danach dennoch ruhig schlafen können. Katharina selbst schreibt, und ich halte das für den geeignetsten Satz, um zum Ende zu kommen: „Denn wenn wir es nicht tun, tut es kein anderer für uns.“ Danke!

Karolin Schwarz

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