Inklusion als Baustein zur Schließung der Gerechtigkeitslücke
Grundsätzliches und Pragmatisches zur Entwicklung einer inklusiven Kommune
am Beispiel Marburg
Vortrag anlässlich der Tagung „10 Jahre Leuchtfeuer“ in Marburg
14. Juni 2014
Dr. Bernhard Conrads
Bundesgeschäftsführer i.R.
Danke für die Gelegenheit, heute hier sprechen zu können.
Im Vorfeld dieser Veranstaltung wurde ich von Herrn Hanke mit der Frage konfrontiert, was mein Kernanliegen im Hinblick auf soziale Bürgerrechte sei. Meine Antwort: Die Schließung oder zumindest Verkleinerung der allenthalben feststellbaren Gerechtigkeitslücke!
Warum? Ein großer Teil der Gerechtigkeitslücke ist schicksalhaft bedingt. Bin ich mit einer Krankheit oder einer Behinderung geboren. In welcher Familie wachse ich auf? Liegt mein Geburtsort in Bangladesh oder in Blankenese? Geht meine Firma aus Markt-, Macht- oder Managementgründen pleite?
Das Leben ist grundsätzlich mit einer Gerechtigkeitslücke behaftet.
Es ist Aufgabe der Politik im Allgemeinen, der Sozialpolitik im Besonderen, diese Gerechtigkeitslücke so klein wie möglich zu halten.
Auf der Homepage zu dieser Veranstaltung können Sie lesen, dass ich mich zum Inklusionsgedanken und notwendigen Veränderungen äußern werde. Dieser Erwartung entspreche ich – konkret mit Bezug auf Marburg – gerne. Dabei habe ich die Hoffnung, den einen oder anderen Impuls in Richtung Stadtpolitik zu geben, wenngleich an vielen Stellen bereits viel in Richtung Inklusion – und dies sei anerkennend vor die Klammer gezogen – geschieht.
Abschließend will ich versuchen darzulegen, ob und inwieweit die Realisierung dieser Vision dazu beiträgt, die Gerechtigkeitslücke in unserer Gesellschaft zu schließen.
Gestatten Sie am Anfang, den Inklusionsgedanken durch nur ein Bild zu erläutern.
Eine grundlegende Feststellung vorneweg: Wenn ich auch aufgrund meines Lebensweges bei der Lebenshilfe die Beispiele in meinem Vortrag aus der Welt behinderter Menschen wähle, so gilt der Inklusionsgedanke doch über diesen Personenkreis hinaus. Er ist von Bedeutung für alle Personengruppen, die von Benachteiligung und Diskriminierung bedroht sind: Wegen ihres Geschlechts, ihrer geographischen oder gesellschaftlichen Herkunft, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religionszugehörigkeit und eben auch wegen ihrer Beeinträchtigung, Krankheit oder Behinderung.
Bezogen auf behinderte Menschen ist im Hinblick auf Inklusion die UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen von zentraler Bedeutung. Es handelt sich hier um eine Menschenrechtskonvention wie die Frauenrechtskonvention, die Kinderrechtskonvention oder die Konvention zur Ächtung von Folter und Gewalt.
Durch die Ratifizierung durch den Deutschen Bundestag im Jahre 2009 ist – verpflichtend – Deutsches Recht. Trotzdem reite ich nicht das Pferd der gesetzlichen Verpflichtung, sondern wähle heute den mühsameren Weg der Überzeugungsarbeit.
Ich möchte Sie davon überzeugen, dass Inklusion für uns alle gut ist – auch deswegen, weil sich hierdurch ein Beitrag zur Schließung der Gerechtigkeitslücke und damit zur Sicherstellung sozialen Friedens geleistet wird. Ein Aspekt, der selbst ökonomisch orientierte Menschen erreichen sollte, ist doch auf Dauer gesehen, soziale Unruhe höchst unprofitabel. Allerdings ist Langfristdenken nicht gerade die Stärke der meisten Wirtschaftskapitäne.
Genug der theoretischen Vorbemerkung. Ich lasse gleich mal die Katze aus dem Sack! Ich mache mich heute für ein Projekt
„Marburg inklusiv“
stark. Hierbei sollte es darum gehen, wie etwa Menschen mit und ohne Behinderung, alte und junge Menschen, Menschen mit und ohne Zuwanderungsgeschichte inmitten der Gesellschaft ihren gleichwertigen Platz haben und diesen in Gemeinschaft mit gestalten können.
Trage ich hiermit Eulen nach Athen? Unser Oberbürgermeister hat immer wieder Marburg als das soziale Herz Deutschlands charakterisiert, als einen Sozialraum, in dem der Geist der Heiligen Elisabeth über Jahrhunderte hinweg seine positive Wirkung spüren lässt.
Zweifelsohne – ich betrete mit meinen Gedanken kein Neuland. Es gibt schon heute viele Beispiele gelungenen Miteinanders in einem funktionierende Sozialraum Marburg.
Gleichwohl: Das Bessere ist der Feind des Guten. Und so mag manches noch besser, noch bewusster, noch systematischer und ganzheitlicher angegangen werden können.
Von Hause aus die Stadt als Gebietskörperschaft geborener und auch wichtigster Gestalter des Sozialraums „Stadt“. Daher ist eine inklusionsorientiere Stadtverwaltung von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, allen Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt eine gleichberechtigte Teilhabe an allen Leistungen des Dienstleisters „Stadt Marburg“ zu ermöglichen. Analog gilt das natürlich auch für die Kreisverwaltung.
Die Arbeit der Städtischen Gremien, des Parlaments und der Ausschüsse, des Magistrats, der Dezernate und Fachdienste ist geprägt durch Menschen. Sie entscheiden oder bereiten Entscheidungen vor und setzen Entscheidungen um. Um dies im Sinne der Inklusion zu leisten, ist es notwendig, sie – genauso wie andere Behörden neben der Stadt – mit dem Grundgedanken der Inklusion und – im Hinblick auf behinderte Menschen – mit den Inhalten der UN-Behindertenrechtskonvention in Kenntnis zu setzen.
Das betrifft wohl jeden Zuständigkeitsbereich:
Kinder, Jugend und Familie
Bildung und Schule
Soziales
Wohnen
Arbeitsverwaltung
Ausländerbehörde
Planen und Bauen und Verkehr
Sport
Kultur
Tourismus
Regional- und Wirtschaftsentwicklung
Stadtmarketing
Presseamt
Naheliegenderweise kommt den Behinderten- und Seniorenbeirat der Stadt wachsende Bedeutung zu. Die BRK liefert gerade diesen Gremien neue Argumente … oder besser, beschert ihnen neue Pfeile im Köcher in ihrer verdienstvollen Interessenvertretung.
Bei dieser Flut von Ansatzpunkten gilt es Prioritäten zu setzen, richtige Einstiege zu finden.
Man hat vielerorts begonnen, gleich mit den Themenfeldern „Schule“ und „Arbeitsleben“ ganz dicke Bretter zu bohren. Vielleicht war das ein Fehler.
Warum?
Bei Umsetzen des Inklusionsgedankens gibt es mehrere Stellschrauben, als da sind
Haltungen/Einstellungen, die es prägen, und Vorurteile, die es abzubauen gilt.
Strukturen, die es zu verändern gilt
Methoden, die es zu entwickeln
Finanzen, die es zur Verfügung zu stellen gilt
Hier gilt es klarzustellen: Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Wer immer hofft, kurzfristig durch den Abbau von Sonderstrukturen Geld sparen zu können, irrt. Wer dies versucht, ist Totengräber der Inklusion.
Mir ist die Herausforderung bewusst, in Zeiten der Schuldenbremse zusätzlich Kosten zu generieren. Wenn man aber mit der Aussage „Der Mensch kommt zuerst, er steht im Mittelpunkt“ das berühmte „A“sagt, muss auf der Kostenseite „B“ sagen. Dies bedeutet Umverteilung oder Generierung neuer Mittel. Damit sind wir auf dem Gebiet der Finanz- und Steuerpolitik, das ich hier nicht vertiefen kann.
Wir sollten uns nur bewusst sein, ist die Politik nicht zu beneiden, wenn sie im Kampf der Interessen entsprechend Prioritäten zu setzen hat. Und daher sind alle, die Inklusion für einen guten Weg halten, auch angezeigt, Lösungswege aus diesem Dilemma mit zu bedenken.
Ein Weg geht über Art. 8 der Behindertenrechtskonvention, der mit „Bewusstseinsbildung“ überschrieben ist und der die in den letzten Jahren meiner Einschätzung und Beobachtung nach notwendige und gleichwohl vernachlässigte Veränderung von Haltungen und Einstellungen betrifft.
Es gilt zu beweisen, dass Inklusion keine Illusion ist. Und zwar durch Beispiele, die mitten aus dem Leben gegriffen sind. Daher ist es höchste Zeit, die Inklusionsdiskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen. Will sagen, vom Kopf der Vereinten Nationen und den Höhen der Bundes- und Landespolitik auf die Füße. der Kommunalpolitik.
Und es empfiehlt sich, von den vorerwähnten „dicken Brettern“ auf etwas dünnere umzusteigen, auf Felder von Erfolge zu erzielen sind, ohne dass in der Vergangenheit bewährte Strukturen unbedacht über den Haufen geworfen werden oder riesige Finanzhürden zu bewältigen sind.
Bitte haben Sie im Blick, dass – wenn von behinderten Menschen die Rede ist, es den Behinderten Menschen nicht gibt. Es gibt Leute, die können sich laufen, andere nicht oder schlecht sehen, dritte nicht oder schlecht hören, andere nicht so schnell denken oder sie sind nicht immer gut drauf. Und bedenken Sie bitte auch, dass nicht jeder behinderte Mensch überall dabei sein will. Es gilt das Wunsch- und Wahlrecht. Inklusion darf nicht zur „Zwangsbeglückung“ werden.
Nur, davon sind wir weit entfernt. Es besteht ein großer Nachholbedarf an inklusiven Angeboten. Und deswegen fokussiere ich hierauf.
Natürlich ist es mit einer inklusiv denkenden Stadtverwaltung nicht getan, wenngleich sie eine Vorreiterrolle einnehmen kann.
Zu den niedrigschwelligen Inklusionsfeldern gehört der Freizeitbereich und damit das Vereinswesen und die Felder der außerschulischen Bildung.
Nahezu jeder Verein hat inklusives Potential: Für den Sportverein sind – gerade in Zeiten von nachlassenden Mitgliederzahlen – behinderte Sportlerinnen und Sportler ein neue, interessante Zielgruppe. Musik- oder Malschulen können sich für Menschen öffnen, die „anders“ sind und trotzdem Freude an Kunst und Kultur haben. Museen praktizieren Museumspädagogik – nicht nur für Gymnasiasten, sondern auch Menschen mit einer geistigen Behinderung. Oder für Menschen, die auf ihre alten Tage die Geheimnisse moderner Kunst ergründen möchten. Auch Chöre oder Tanz- bzw. Theatergruppen können sich für öffnen, wie es ja schon geschieht.
Der blinde Chorleiter ist in Marburg eine Selbstverständlichkeit, aber ist genauso selbstverständlich, dass in einer Tanzgruppe Menschen mit Down Syndrom dabei sind? Ich wähle dieses Beispiel deswegen gerne, weil es hinreißende Tänzer und Schauspieler mit Down Syndrom, wie entsprechende, bereits existieren Formationen bis hin zu professionellem Niveau beweisen.
Über derartige Felder, die ich hier nur andeuten kann, ist es möglich, den „Sozialraum Marburg“ über ein mehr an Zugänglichkeit zu verändern und für Gruppen zu öffnen, die – wie jeder Mensch – zu uns gehören.
Wenn breite Kreise der Bevölkerung gewahr werden, dass das vom Mainstream abweichende Menschen im künstlerischen Bereich etwas zu bieten haben, .wenn. Mitbürgerinnen und Mitbürger erleben, dass behinderte Menschen Lebensfreude durch Sport erleben und der Sport zusammen mit nicht behinderten Sportlern allen Spaß macht, dann verändert das Haltungen und Einstellungen. Hierdurch werden – und dies sind nur Beispiele Ängste und Vorurteile abgebaut, die immer noch die aus meiner Sicht größten Hürden sind auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft.
Ich weiß – es wird schon viel getan. So haben sich dem Vernehmen nach auf Initiative der örtlichen Ebene eines Wohlfahrtsverbandes (DPWV) die in der Stadt Verantwortlichen für Jugend- und Behindertenarbeit mit entsprechenden Organisationen zusammengetan, um sich auszutauschen, welche Folgerungen das Inklusionparadigma für die jeweilige Arbeit hat. Derartiges gilt es umfassend und gesteuert anzugehen; der schöpferischen und planerischen Phantasie sind Tor und Tür geöffnet.
Strukturen entwickeln – ein weites Feld: Hier gilt es die jeweiligen Organisationen, sei es Unternehmung, Schule oder Verein mit Ihren Strukturen auf den Prüfstand zu stellen. Am offenkundigsten ist’s im Schulbereich: Es wäre oder leider ist eine eklatante Fehlentwicklung, etwa ein behindertes Kind gemeinsam mit anderen Kindern zu unterrichten, ohne dass die personellen, räumlichen und sachlichen Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Das ist eines jener dicken Bretter.
Einfacher, wenn auch nicht einfach, ist etwa eine Veränderung in der Struktur eines Sportvereins. Entsprechend ausgebildete Übungsleiter, einen Beirat behinderter Mitglieder, behinderte Menschen im Vorstand sind Beispiele für denkbare strukturelle Veränderungen auf diesem Gebiet.
Ein Wort noch zu den Methoden: Ein zu weites Feld, um dies im vorgegebenen Zeitrahmen zu schaffen. Daher hier nur ein Beispiel des Abbaus von kommunikativen Hindernissen: Leichte oder Leicht Verständliche Sprache: Wenn Marburg Tourismus einen Stadtführer in Leichter Sprache herausgibt, ist dies vorbildlich. Wenn öffentliche Anlagen und Gebäude ein leicht verständliches, möglicherweise auch akustisch nutzbares Orientierungssystem aufweisen, wird dies allen Bürgern gut tun – als Beweis für die These, dass behindertengerecht menschengerecht ist. Das gilt natürlich auch für Barrierefreiheit im klassischen Sinne: Wenn unser Universitätsmuseum – hoffentlich – nach dem Umbau einen Aufzug haben wird, freut sich mancher betagte Mitbürger, endlich wieder den wunderbaren Konzertsaal genießen zu können.
Aber das machen wir doch schon, mag mancher einwenden. Ja, allerdings – aber machen wir es mit System, aufeinander abgestimmt, umfassend?
Man mag es mir nachsehen, wenn ich möglicherweise nicht ganz auf dem Laufenden bin. Und es würde mich freuen, wenn ich offene Türen einrenne. Deswegen freue ich mich über schon gelebte Ansätze (wie oben beispielhaft geschildert) und begrüße entsprechende Pläne, sollten sie vorliegen.
Trotzdem rege ich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgendes an:
Eine Ist-Stand-Erhebung in Sachen Zugänglichkeit/Barrierefreiheit aus dem Blickwinkel aller Gruppen behinderter und von Diskriminierung bedrohter Menschen. Diese sollte unter Einbeziehung etwa von Menschen mit Behinderung geschehen – nach dem Motto:“Nichts“ über uns ohne uns“.
Die Ableitung hieraus in Richtung und immer soweit nicht schon vorhanden:
Baulicher Barrierefreiheit öffentlicher Gebäude –
Kommunikativer Zugänglichkeit
Website-Auftritt der Stadt
Beschilderung in der Stadt
Stadtpläne in einfacher Sprache und Braille-Schrift
Zugänglichkeit und Barrierefreiheit auch von Veranstaltungen zwischen 3-Tage Marburg und Weihnachtsmarkt.
Ein Workshop für ehren- und hauptamtliche Funktionsträger – der Universitätsstadt Marburg – offen für alle Dienststellen und Gremien – zur Bedeutung der Behindertenrechtskonvention und mögliche Schlussfolgerungen im jeweiligen Aufgabenfeld. – z.B. auch für Mitglieder des Stadtparlaments.
Eine Schulung, zu der alle einschlägig betrauten Mitarbeiter der Stadtverwaltung eingeladen werden, im Rahmen eines „Tages der Inklusion“ mehr über die Behindertenrechtskonvenion und Teilhabe-Hindernisse der unterschiedlicher Personenkreise zu erfahren
Eine Kick-Off-Veranstaltung für Vereine und weitere Akteure des öffentlichen und privaten Raums, um das Bewusstsein für die Belange und Rechte von Menschen mit Behinderung und anderer sozialer Randgruppen zu schärfen.“
Entwicklung von Informationsmaterial für Vereinsvorsitzende.
Nicht aus den Augen verloren werden sollten die Kirchengemeinden. Hier liegen erhebliche Potenziale.
Kürzlich erreichte mich Brief einer Kirchengemeinde. Ein Gemeindemitglied hat anlässlich eines Rundes Geburtstags auf Geschenke verzichtet und um Spenden für das „Inklusionsprogramm“ der Kirchengemeinde gebeten – hier konkret für gemeinsame Freizeiten behinderter und nicht behinderter Menschen. In seinem Dankesbrief berichtete der Pfarrer von einer interessanten Erfahrung:
„… dass es bei vielen Mitbürgern einen Wertewandel gibt – weg von der Betonung materieller Werte hin zum sinnvollen Einsatz für den Nächsten.“
Sollten vorgenannte Ideen aufgegriffen werden, beginnt man unweigerlich einen Prozess: In dessen – hier nur angedeuteten Rahmen – wird sich die Lebensqualität unserer Stadt noch mehr verbessern. Marburg gewinnt an Attraktivität. Insofern wird Inklusion zu einem belebenden Element des Stadtmarketing, das – und das haben alle Verantwortlichen längst im Blick – mehr ist als Gewerbeförderung, Standortpolitik und die Ankurbelung des Fremdenverkehrs.
Der Prozess „Inklusion“ hat Tiefgang. Denn: Er erfasst breite Teile der Bevölkerung Mit – oder besser in – diesen Menschen wird etwas geschehen. Manche, hoffentlich Viele werden über ihr Wertsystem nachdenken. Über die Koordinaten ihres Lebens. Denken Sie an die Worte des zitierten Pfarrers…
Damit nähern wir uns dem Thema Gerechtigkeit und unserer eingangs beklagten Gerechtigkeitslücke.
An dieser Stelle ein kleiner Begeisterungs-Dämpfer: Mit der Umsetzung des Inklusionsparadigmas allein werden wir die Gerechtigkeitslücke nicht schließen. Wir brauchen weitere Maßnahmen, auch und gerade, um Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit – auf nationaler wie internationaler Ebene – näher zu kommen. In diesem Zusammenhang ist Entwicklungszusammenarbeit als globale Sozialpolitik zu interpretieren. Gleichermaßen ist die Regulierung der Finanzmärkte dringlich angezeigt.
Auf der Ebene der Wirtschaft sind Unternehmen gut beraten, ihre gesellschaftliche Verantwortung wahr- und ernst zu nehmen. Ethisch fundiertes Handeln im unternehmerischen Bereich trägt zur Schließung der Gerechtigkeitslücke bei Wir brauchen eine Marktwirtschaft, die mit dem Adjektiv „sozial“ ernst macht.
Diese letzten Gedanken machen deutlich: Inklusion ist kein Allheilmittel.
Allerdings – und das macht den Dämpfer wieder wett: Wenn Inklusion realisiert wird, verändert sie aber das gesellschaftliche Klima. Sie trägt – davon bin ich überzeugt – dazu bei, dass in wichtigen Feldern der Politik und Wirtschaft ein Umdenken stattfindet, das – um mit den Worten unserer Bundeskanzlerin zu sprechen – alternativlos ist, will man dem Ziel einer gerechten oder zumindest gerechteren Gesellschaft näherkommen.
Ich lese zurzeit eine Biographie über Hannah Ahrend, die nicht weit von hier in Marburg während ihres Studiums gelebt hat – nicht ohne Martin Heidegger auch wissenschaftlich wesentlich beeinflusst zu haben.
Der Begriff „Inklusion“ gehörte damals noch nicht zum geisteswissenschaftlichen Vokabular. Aber im Grunde hat Hannah Arendt Inklusion ge- und bedacht:
Ich fasse zusammen: Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und über die Behindertenrechtskonvention Konvention Bürgerrecht. Die BRK ist eine Schatztruhe – für behinderte Menschen, aber auch darüber hinaus, für Menschen die anderweitig benachteiligt sind –letztlich für uns alle, die wir irgendwann einmal in unserem Leben „anders“ werden. Sie, diese Schatztruhe, gilt es zu entdecken, zu öffnen und im wohlverstandenen Sinne zu plündern. Auch hier in Marburg!
Das Marburger Leuchtfeuer hilft uns, den Schatz zu heben.
Vielen Dank.