Solidarische Gesellschaft von unten aufbauen – Tagung diskutierte über den Stand der Sozialen Bürgerrechte

„Es gibt viele Baustellen.“ So fasste der Marburger HU-Vorsitzende Franz-Josef Hanke den Stand der Sozialen Bürgerrechte zu Beginn der Tagung „10 Jahre marburger Leuchtfeuer“ zusammen. Im Stadtverordnetensitzungssaal veranstaltete die Humanistische Union (HU) am Samstag (14. Juni) mit Unterstützung der Universitätsstadt Marburg die Jubiläumstagung zur zehnten Verleihung des Marburger Leuchtfeuers für Soziale Bürgerrechte. Diesen undotierten Preis erhalten engagierte Menschen, die sich in besonderem Maße gegen Ausgrenzung und für soziale Bürgerrechte einsetzen.<!–more–>

Prof. Dr. Christoph Butterwegge gab im ersten Vortrag einen Abriss über die Demontage des Sozialstaats. Auf einem Zitat von Peer Steinbrück, nach dem die Politik sich nur um jene zu kümmern habe, die auch Leistungen für die Gesellschaft erbringen, baute Butterwegge seine Kritik auf. Ihm ging es darum, dass im neoliberalen Weltbild „Leistung“ lediglich ökonomischen Erfolg umfasse und das Soziale somit dem Gedanken der Gewinnmaximierung untergeordnet werde.
Auch das Thema der sozialen Ausgrenzung griff er in diesem Zusammenhang auf. Er legte dar, wie viel entwürdigender es sei, ein armer Mensch in einem reichen Land zu sein und als Almosenempfänger abgestempelt zu werden.

Anschließend würdigte Oberbürgermeister Egon Vaupel die 2010 verstorbene Leuchtfeuer-Preisträgerin Käte Dinnebier. Vaupel beschrieb sie als „kleine – immer fröhliche – Frau von außergewöhnlicher Größe“, die sich zeitlebens intensiv für Gleichberechtigung der Geschlechter und die Gewerkschaftskultur sowie gegen Faschismus einsetzte.

Um ihr Projekt „Kulturloge“ ging es Hilde Rektorschek, die das Marburger Leuchtfeuer 2013 erhalten hat. Den Kritikpunkt Butterwegges, in Deutschland schnell als Almosenempfänger abgestempelt zu werden, erweiterte sie damit um einen Lösungsansatz. Bei der Kulturloge erhalten die, die es sich sonst nicht leisten könnten, Zugang zu Kultur.

Theater, Kinos und Konzertveranstalter geben Restkarten an die Mitarbeiter der Kulturloge, die sie dann wiederum an Interessierte weiterleiten. Laut Rektorschek stößt das Angebot auf breite Resonanz. In Marburg wurden so bereits 8.800 Theater-, Kino- und Konzertkarten vermittelt.

Das Thema Inklusion nahm Dr. Bernhard Conrads in den Blick. Der Leuchtfeuer-Preisträger von 2012 präsentierte seine Ideen für das Projekt „Marburg inklusiv“. Damit zeigte er Wege auf, wie Inklusion in der Stadt umzusetzen sein könnte.

Nicht nur die Stadtverwaltung müsse mit dem Inklusionsbegriff vertraut gemacht werden; auch sei es wichtig, die Haltung und Einstellung in den Köpfen aller Menschen zu ändern. Am besten funktioniere das, indem man verstärkt inklusive Angebote, die beispielsweise die außerschulische Freizeit betreffen, auf den Plan bringt. Condrads Ziel ist es, zu zeigen, dass von Behinderten und jenen, die „vom mainstream abweichen“ keine geringere gestaltende Kraft ausgeht als von den anderen.

Als letzter Referent machte Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ, der das Marburger Leuchtfeuer 2006 erhielt, auf eine Paradoxie in der Europapolitik aufmerksam. Zu diesem Zweck zitierte er zunächst Angela Merkel mit den Worten „Europa ist keine Sozialunion“. Anschließend führte er genau diese Behauptung anhand vieler Belege in den Vertragswerken der Europäischen Union (EU ad absurdum. In den Verträgen sind Soziale Grundrechte und die Gleichstellung ganz klar festgeschrieben.

Vor der abschließenden Podiumsdiskussion aller Referenten sorgte Jochen Schäfer am Keyboard mit dem stimmungsvoll kämpferischen „Leuchtfeuer-Lied“ für Begeisterung. Die dann folgende hitzige Debatte drehte sich um ein bedingungsloses Grundeinkommen, Geldsorgen der Kommunen und die soziale Schere. Hier schaltete sich auch das Publikum aktiv ein.

Einen gemeinsamen Nenner fanden schließlich alle darin, dass eine „Veränderung von unten“ einsetzen muss und nicht etwa durch eine politische Elite aufgedrängt werden darf. Auch waren sich alle einig, dass bei dieser Zusammenkunft niemand ein Patentrezept zur Bekämpfung von Armut und Ungleichheit aus dem Hut zaubern konnte.

Trotzdem sensibilisierten sämtliche Beiträge für die herrschenden gesellschaftlichen Missstände. Wie Hanke in seinem Schlusswort treffend formulierte, ist die entscheidendste Maßnahme die, dass jeder einzelne selbst aktiv wird und angesichts der Baustellen nicht resigniert. Dabei könnte das Marburger Leuchtfeuer wohl den Weg weisen.

Katharina Hahn

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