Daniel Neumann: Das Wildpferd, lieber Amnon, bist du!

Daniel Neumann

Daniel Neumann hielt die Laudatio für Amnon Orbach. (Foto: Kalkidan Chane)

Amnon Orbach hat das „Marburger Leuchtfeuer“ 2022 erhalten. Die Laudatio hat Direktor Daniel Neumann vom Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hessen gehalten.

Wie Sie vielleicht wissen, gibt es für uns Juden eine ganze Reihe von
Beschreibungen.
Viele davon sind historisch bedingt oder religiös gefärbt.
So heißt es etwa, dass wir dem Volk der Propheten entstammen würden.
Und unter unseren Vorfahren tummeln sich so illustre Namen wie Jeremia,
Echeskiel, Amos oder Jesaja.
Wenn Sie nun aber glauben, dass diese beeindruckenden Ahnen uns
hellseherische Fähigkeiten hinterlassen haben, irren sie sich.
Denn hätte ich auch nur einen Hauch der Gabe in mir, für die das Volk der
Propheten berüchtigt war, dann hätte ich ahnen müssen, welch besonderem
Mann ich mit Amnon Orbach vor gut 20 Jahren begegnet bin.
Ich hätte es fühlen müssen, vorhersehen müssen.
Aber nichts von alledem geschah.
Vielleicht war das aber auch den Umständen geschuldet.
Damals im Jahr 2003, als wir uns das erste Mal trafen.
Bei einer gemeinsamen Sitzung in Frankfurt. Im Hauptsitz des Landesverbandes
der Jüdischen Gemeinden in Hessen. Wo Du als Vorsitzender der Jüdischen
Gemeinde Marburg zu den unbequemeren Gemeindevertretern zähltest.
Damals knisterte die Luft. Aufgeladen von der Spannung, die zwischen meinem
Vater, der damals Landesvorsitzender war und Dir herrschte.
Hier der auf Prinzipien und Gradlinigkeit pochende Patriarch und dort der
unbequeme Rebell aus der Universitätsstadt an der Lahn. Hier der auf dem
Boden jüdischpreußischer Tugenden und institutioneller Tradition stehende
Landesvorsitzende, dort der mit israelischer Impulsivität operierende Freigeist.
Das konnte nicht gut gehen…
Deshalb traf mein Vater irgendwann, von den vielen Kämpfen ermüdet, die
kluge Entscheidung, die Causa „Orbach“ in unbefleckte Hände zu übergeben.
Also in meine Hände. Denn was wusste ich schon? Ich fand Dich, lieber Amnon, eigentlich ganz nett.
Etwas zu streitlustig und unbeirrt vielleicht, aber das konnte ja noch werden.
Erst einmal musste aber auch ich meine Lektion lernen. Denn es dauerte nicht
lange, bis ich meine ersten Erfahrungen mit der Durchsetzungskraft und der
Beharrlichkeit machte, die dich stets auszeichnete.
In dem Ergebnis dieser Eigenschaften befinden wir uns gerade.
Es ist die neue Synagoge, die im Jahr 2005 eingeweiht wurde. Ein wunderbarer
Ort, an dem sich nicht nur Juden wohl fühlen, sondern an dem Menschen aller
Couleur willkommen sind. Ein Ort des Gebets, des Austauschs, der Kultur und
der Begegnung.
Der Weg dorthin war allerdings steinig. Und er glich vor allem für uns vom
Landesverband einem wilden Ritt. Es war ein Rodeo.
Das Wildpferd, lieber Amnon, das warst in dem Fall Du.
Und Du triebst das, was Du dir in den Kopf gesetzt hattest, unermüdlich voran,
während wir krampfhaft versuchten, nicht abgeschüttelt zu werden.
Meine Güte, was war das für ein Ritt! Egon Vaupel, damals Oberbürgermeister
und Jürgen Rausch, damals Stadtbaurat können ein Lied davon singen. Und wir
hielten mehr als einmal Kriegsrat, um dem Projekt „Synagoge Marburg“ den
Weg zu ebnen, ohne unter die Hufe zu geraten.
Schließlich war der Landesverband von der Landespolitik damals unfreiwillig in
die Pflicht genommen worden, das vorschriftsmäßige und finanzielle Gelingen
des Projekts zu verantworten.
Hier das Wildpferd nur zur Erinnerung: das bist Du Amnon , das einfach
losgallopierte, um den Traum einer Synagoge für die Juden in Marburg eher
heute als morgen Wirklichkeit werden zu lassen.
Und dort die Cowboys aus Frankfurt, die sicherstellen mussten, dass der Traum
nicht außer Kontrolle geriet oder man mit dem Pferd zusammen verunglückte.
Lieber Amnon. Das war ein Ritt!
Und doch muss man rückblickend sagen: es hat sich gelohnt! Und wie!
Denn die Jüdische Gemeinde, die dank der vielen Emigranten aus der
ehemaligen Sowjetunion beständig wuchs, erhielt nach der provisorischen
Unterkunft im Pilgrimstein endlich eine eigene, dauerhafte Bleibe.
Dank Dir und deiner Herde!
Denn Du warst ja nicht allein, sondern hattest noch weitere kraftvolle Pferde
im Stall.
Monika Bunk und Alexander Pevzner im Besonderen, die unschätzbare Arbeit
leisteten. Die Dich eine an deiner rechten Seite und einer an deiner linken Seite tatkräftig unterstützten. Und Dank der Stadt Marburg unter OB Vaupel und der
Hilfe des Landes Hessen sowie vieler weiterer Unterstützer.
So bekam Marburg eine bildschöne Synagoge und gleichzeitig einen Ort der
Begegnung, der Kultur und des Miteinanders.
Dieses Haus, diese Synagoge hat viele Väter und mindestens eine Mutter.
Aber sie trägt dennoch unverkennbar deine Handschrift.
Strotzt von Orbachschen Ideen und Zugaben.
Von dem Glashimmel über unseren Köpfen bis zur Erde des Jerusalemer
Tempelbergs, die Du auf nicht ganz legale Weise hierhergebracht hast, um
dieses Haus damit symbolisch zu heiligen.
Die Aktion mit der Erde vom Tempelberg beschreibt dich recht gut.
Denn es ging wie so oft um die Sache.
Und da muss man Fünf auch mal gerade sein lassen.
Apropos Fünf und Gerade. Mit dem Geraden hast Du es eigentlich nicht so.
Auch das hätte mir schon früh klar werden müssen.
Vielleicht liegt das an deiner israelischen Sozialisation.
Denn in einem solch kleinen Land, dass mit vielen Feinden und wenig
natürlichen Ressourcen zurechtkommen muss, reicht es nicht, den geraden
Weg zu wählen.
Es braucht das Denken um Ecken und viel Kreativität bei der Problemlösung.
Vielleicht ist es aber auch die jüdischreligiöse Bildung, die dominierte.
Denn wer so wie Du als Jude in einer traditionellen Familie groß wird, der hat
es mit einer Vielzahl von g“ttlichen Ge und Verboten zu tun.
613 um genau zu sein, nebst einer unüberschaubaren Zahl weiterer Regeln.
Ohne ein hohes Maß an Kreativität, an Erfindungsreichtum, an
Diskussionsfreude und an Rebellentum kommt man da nicht ohne Blessuren
durch.
Und das ist durchaus im Sinne des Erfinders. Denn der Ewige hat für uns zwar
eine bedeutsame Stimme, aber die Tora ist nicht mehr im Himmel wie es heißt.
Es ist nun an uns Menschen, sie zu lesen, zu interpretieren und zu leben.
So wie in dem Witz, in dem ein Gemeindevorstand mit seinem Rabbiner über
ein wichtiges Problem streitet. Und während der Rabbiner eine Auffassung
vertritt, sind die Fünf Vorstände anderer Ansicht. Eine Abstimmung nach der
anderen endet immer gleich: es steht 5:1. Da zieht der Rabbiner seinen letzten
Trumpf und sagt: „Mir scheint, dass es nur noch einen Weg gibt, Euch davon zu
überzeugen, dass ich im Recht bin. Wir werden G“tt befragen!“ Also fleht er gen Himmel um ein Zeichen. Da ertönt die Stimme G“ttes und
sagt: „Der Rabbi hat Recht!“
Woraufhin der Vorsitzende lächelnd meint: „Dann steht es jetzt 5:2“!
Dieses Denken scheint dich geprägt zu haben.
Und es hat dich zu dem werden lassen, der heute hier geehrt wird.
Denn über all diesen Gesetzen, all diesen Regeln, all diesen
Handlungsanweisungen steht vor allen Dingen ein Zweck:
die Welt als Partner G“ttes zu reparieren.
Will heißen: die Welt zu einem besseren Ort zu machen.
Das ist einfach gesagt und schwer getan.
Und doch bietet das Judentum ein Gerüst, an dem man sich orientieren kann.
Stellt Mittel und Wege zur Verfügung, um den Schritt von der Moraltheorie in
die praktische Ethik zu gehen.
Hält ein System vor, in dem die Tat mehr zählt als der Glaube.
Und in dem Gerechtigkeit, Frieden und Nächstenliebe grundlegende Pfeiler für
ein funktionierendes Miteinander bieten.
Soweit das Ideal. Die Praxis sieht mitunter nicht ganz so rosig aus.
Denn das beste System ist nur so gut, wie die Menschen, die es anwenden.
Und hier haben wir es mit Juden zu tun. Genau die Juden, die G“tt einerseits
auserwählt hat, und die er andererseits wegen ihrer Widerspenstigkeit mehr
als nur einmal am liebsten dorthin geschickt hätte, wo der Pfeffer wächst.
Ein hartnäckiges, halsstarriges Volk, dass selbst vor ausgeprägten Diskussionen
mit dem Ewigen nicht Halt macht.
Nicht umsonst bedeutet der Name Israel übersetzt so viel wie: „Der mit G“tt
ringt“.
Wo wir wieder bei Dir wären, lieber Amnon.
Denn das ist eine der Leidenschaften, die dich auszeichnen: das Ringen mit G“tt
und das Ringen mit den Menschen.
Die Diskussion und das Streiten um den richtigen Weg, den menschlichen Weg.
Aus deiner tiefen Verwurzelung in der jüdischen Tradition hast Du jedenfalls
die richtigen Schlüsse gezogen. Und Du hast einen Kompass entwickelt, der
stets in Richtung Mitmenschlichkeit, Offenheit, Hilfsbereitschaft und Toleranz
zeigt. Mit diesem Kompass hast Du mitunter in bester rabbinischer Manier
gehandelt.
So, wie in dem anderen Witz, der mich an Dich erinnert:
Ein Pfarrer lässt sich beim Friseur die Haare schneiden. Nachdem er fertig ist
und bezahlen möchte, lehnt der Friseur ab und erklärt: „Ich nehme kein Geld
von Ihnen, Vater, sie sind ein Mann G“ttes!“. Der Pfarrer bedankt sich vielmals
und kehrt am nächsten Tag zurück, um dem Friseur aus Dankbarkeit eine
prächtige ledergebundene Bibel zu schenken.
Danach kommt ein Imam und lässt sich die Haare schneiden. Als er bezahlen
möchte, lehnt der Friseur ab und erklärt: „Ich nehme kein Geld von Ihnen, sie
sind doch ein Mann G“ttes!“. Der Imam bedankt sich vielmals und kehrt am
nächsten Tag zurück, um dem Friseur aus Dankbarkeit eine prächtige
Koranausgabe zu schenken.
Dann kommt ein Rabbiner und lässt sich die Haare schneiden. Als er bezahlen
möchte, lehnt der Friseur ab und erklärt: „Ich nehme kein Geld von Ihnen, denn
sie sind ein Mann G“ttes!“. Der Rabbiner bedankt sich und kommt am nächsten
Tag mit einem weiteren Rabbiner wieder.
Amnon: manchmal erinnerst Du mich an solch einen Rabbiner.
Natürlich nutzt Du die Freundlichkeit anderer nicht aus. Keineswegs.
Aber Du begnügst Dich nur selten mit einem ausgestreckten Finger.
Stattdessen nimmst Du lieber die ganze Hand.
Aus eigennützigen Motiven? Überhaupt nicht!
Sondern weil Du oft Menschen im Schlepptau hattest, die Hilfe brauchten.
Um die Du dich gekümmert hast. Für die Du Sorge trugst.
Denen Du Zuwendung und Unterstützung geschenkt hast.
Und für deren Hilfe dir ein Finger von Politikern oder anderen einflussreichen
Personen nur selten reichte. Nein. Du wolltest ihre ganze Hand.
Denn die brauchtest Du, um damit Gutes für andere zu bewirken.
Dazu passt eine weitere deiner Überzeugungen:
„Warum Nein sagen, wenn man auch Ja sagen kann?“
Diese Frage ist so einfach wie entwaffnend.
Und sie ist der Schreck eines jeden Bürokraten.
Wie dem auch sei: diese Haltung und diese Überzeugungen sind bei Dir nicht
nur Beiwerk. Sind nicht nur Postulate. Sondern es sind Werte, die Du lebst.
Die Du verkörperst. Und die Du ausstrahlst, so dass jeder, der es möchte von
ihnen gewärmt werden kann.
Außerdem sind es diese verinnerlichten Werte, die dich hierhergeführt haben.
An die Spitze der Jüdischen Gemeinde.
Deiner Gemeinde. Die Du so liebst. Und die dich verehrt.
Und mitten ins Herz der Stadt Marburg. Der Stadt, der Du so viel gegeben hast.
Und die das durchaus zu schätzen weiß.
Dabei bist Du in einem Alter in diese Stadt gekommen, in dem viele andere den
Luxus der Frühverrentung in Anspruch nehmen.
Bei Dir hingegen ging da erst richtig los!
Du bist aus einem Land gekommen, von dessen Wiedererrichtung Juden seit
gut 2000 Jahren geträumt haben, bevor der Traum Wirklichkeit wurde.
Ein Land, dass Du heute noch liebst. Und hart kritisierst.
So, wie man es von Dir erwarten würde.
Dennoch hast Du Dich damals, Mitte der Achtziger, für Deutschland
entschieden.
Ausgerechnet für das Land, das wenige Jahrzehnte zuvor den größten
industriellen Massenmord in der Geschichte der Menschheit verübt hatte.
Und dem Du trotz allem einen beachtlichen Vertrauensvorschuss schenktest.
In der Erwartung, dass Deutschland sich grundlegend verändert habe.
Dass die Menschen sich grundlegend verändert haben. Die meisten jedenfalls.
Auch das ist Ausdruck deiner Überzeugung. Und auch diese fußt auf biblischen
Prinzipien. Denn wie heißt es im 5. Buch Moses:
Die Väter sollen nicht für die Kinder noch die Kinder für Väter sterben.
Ein jeder soll für seine Sünde bestraft werden. (Deuteronomium 24:16)
Mit anderen Worten: Menschen können sich ändern. Sie sind nicht verdammt,
die Fehler ihrer Vorfahren zu wiederholen.
Und sie dürfen für diese auch nicht bestraft werden.
Geprägt von diesen Vorstellungen hast Du diesem Land, dieser Stadt und den
hier lebenden Menschen dein Vertrauen, deinen Einsatz und dein Herz
geschenkt. Du bist dabei ein nicht unerhebliches Risiko eingegangen,
enttäuscht zu werden.
Doch das hat dich nicht abgehalten. Und es sollte sich auszahlen.
Die heutige Ehrung ist Teil und Höhepunkt dieses Prozesses.
Was nicht heißt, dass es nicht auch schlechte Erfahrungen gab.
Denn Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind nun leider
Erscheinungen, die uns immer und immer wieder begegnen und uns ständig
herausfordern.
Und die Erinnerung, an das, was war und was nie wieder geschehen darf, hat
auch Dich umgetrieben.Allerdings lähmte sie dich nicht, sondern spornte dich an. Der Glaube,
Menschen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und
unterschiedlichen Glaubens gegen den Hass imprägnieren zu können, hat dich
angetrieben.
Und so hast Du Menschen zusammengeführt, die schwer zusammenpassen.
Hast Türen geöffnet, die andere mit Mühe verschlossen hielten.
Hast Brücken gebaut, wo andere Gräben ausgehoben haben.
Du hast mit deinem Charme die Abwehrmechanismen von Skeptikern
ausgehebelt. Du hast mit deiner Offenheit dein Gegenüber entwaffnet.
Und hier und da bist Du mit deinem Dickkopf einfach durch die Wand…
All das war kein Selbstzweck. Diente nicht der Selbstbeweihräucherung.
Sondern stand in der Tradition des Propheten Jeremia: „Suchet der Stadt
Bestes…“. (Jeremia 29:7)
Es ging um die Stadt Marburg. Um seine Bürger. Um das Gemeinwesen.
So arbeitete der Jude und Israeli Amnon Orbach Jahr für Jahr und Tag für Tag
unermüdlich daran, die Stadt, die zu seinem neuen Zuhause geworden war,
zum Besseren zu verändern.
Dabei hast Du deine Herkunft nie verleugnet,
hast deine Identität nie versteckt. Nein. Ganz im Gegenteil!
Du warst und bist ein stolzer israelischjüdischer Marburger.
Diese Haltung ist Ausdruck eines Ideals, das Rabbiner Jonathan Sacks, s.A., der
frühere Oberrabbiner von Großbritannien, als Dignity of Difference
bezeichnet hatte.
Als die Würde des Unterschieds.
Denn nur weil wir alle unterschiedlich sind, bedeutet das nicht, dass es nichts
gäbe, was uns verbindet. Und es bedeutet auch nicht, dass wir nicht in der Lage
wären, eine gemeinsame Sprache zu finden.
Zugegeben: Nicht wenige glauben, dass uns nur der Universalismus retten
könne. Also eine weitgehende Vereinheitlichung und Anpassung, um dadurch
Unterschiede einzuebnen und Konflikte zu entschärfen.
Eine Welt. Eine Wahrheit. Ein Weg zum ewigen Heil.
Doch das ist nicht der jüdische Weg. Denn der feiert das Anderssein.
Weist ihm eine besondere Würde zu. Die Würde des Unterschieds.
Denn so Rabbiner Sacks nur, weil wir alle unterschiedlich sind, haben wir
alle etwas Einzigartiges beizutragen.
Oder um es mit meinem Lieblingszitat von Winni Puh auszudrücken:
„Das was uns anders macht, ist das, was uns ausmacht.“
Diese Andersartigkeit, die uns ausmacht, ist aber nichts, was uns unnahbar
oder unerreichbar macht. Ganz im Gegenteil.
Sie ist entscheidender Teil unserer Identität und unseres Wesens.
Und gleichzeitig die Basis für die Begegnung mit dem Anderen.
Denn ohne starke Identität und ohne Überzeugungen, für die man einsteht,
geht viel von dem verloren, worauf unser Miteinander gründet.
Nicht nur mit Blick auf Vielfalt und Dynamik. Sondern auch mit Blick auf die
vielen unterschiedlichen und starken Schultern, die unser Gemeinwesen
tragen.
Wir alle brauchen Menschen, auf die wir uns stützen können.
Und wissen dabei, dass man sich nur auf etwas stützen kann, das Widerstand
leistet. Dafür braucht es Menschen, die wissen wer sie sind und was sie wollen.
Die andere nicht imitieren oder ihr Fähnchen in den Wind hängen, sondern die
unbeirrt ihren eigenen Weg gehen. Einen Weg, der nicht immer geradeaus
führt.
Rabbiner Mendel von Kotsk drückte es so aus: „Wenn ich ich bin, weil du du
bist und du du bist, weil ich ich bin, dann bin ich nicht ich und du bist nicht du.
Wenn ich aber ich bin, weil ich ich bin und du du bist, weil du du bist, dann bin
ich ich und du bist du.“
Lieber Amnon, Du bist Du! Du weißt, wer Du bist. Du weißt, wo du herkommst.
Und Du weißt, wo Du hingehörst. Nicht umsonst wirst Du heute hier geehrt.
Inmitten deiner Freunde und Weggefährten.
In deiner Synagoge und in deiner Stadt.
Denn hier ist dein Zuhause und hier gehörst Du hin.
Du bist der israelische Jude in Marburg. Ehrenvorsitzender der Jüdischen
Gemeinde. Bundesverdienstkreuzträger. Ehrenbürger der Stadt.
Mal ein wildes Rodeopferd und mal ein schlitzohriger Rabbiner.
Mal widerspenstig und rebellisch, mal durchsetzungsstark und zielstrebig.
Nicht immer ganz pflegeleicht, aber zuverlässig und liebenswürdig.
Du bist ein Wegbereiter von interreligiöser und interkultureller Begegnung und
Verständigung.
Ein Verfechter für die Idee, die Vergangenheit als Lehrbuch und Warnung zu
begreifen, um ein besseres Miteinander in Gegenwart und Zukunft zu schaffen.
Ein Streiter für diejenigen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.
Und ein leuchtendes Beispiel dafür, wie viel ein einziger Mensch bewirken
kann.
Du bist wandelnde Herzlichkeit. Geballte Hartnäckigkeit.
Personifizierte Hilfsbereitschaft.
Du hast der Stadt bestes gesucht,
Du hast der Menschen bestes gesucht.
Und Du hast beides gefunden.
Ich bin zwar kein Prophet. Nicht im Mindesten.
Aber man muss wohl auch kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass dein
Name untrennbar mit der Geschichte Marburgs und seiner Jüdischen
Gemeinde verbunden bleiben wird.
Er wird lange leuchten. Hell und strahlend.
Wie ein Leuchtfeuer. Ein Leuchtfeuer für Marburg.

One Reply to “Daniel Neumann: Das Wildpferd, lieber Amnon, bist du!”

  1. Pingback: Ablaufplan: Preisübergabe an Amnon Orbach – Marburger Leuchtfeuer für soziale Bürgerrechte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*