Die Gäste der Feierstunde am 20. Juli 2023 im Historischen Saal des Marburger Rathauses hat Franz-Josef Hanke für die Humanistische Union begrüßt.
Einen ganz besonderen Dank möchte ich der Berliner Kabarettistin Idil Baydar dafür abstatten, dass sie hier heute die Laudatio auf Serpil Unvar halten wird. Manche mögen sie vielleicht aus dem Fernsehen als „Die Ayse aus der Waldorfschule“ kennen. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich bestätige, dass Idil Baydar selbst tatsächlich eine Waldorfschule besucht hat.
Als ich Dich, liebe Idil, im März beim Journalismustag der DJU in Berlin gefragt habe, ob Du die Laudatio auf Serpil Unvar halten würdest, da hast Du, ohne zu zögern, direkt mit „Ja“ geantwortet. Das – so hast du erklärt – sei für Dich eine Ehre.
Warum – meine Damen und Herren – habe ich Idil Baydar gefragt? Das hat einen sehr traurigen Grund: Idil Baydar wurde von einem selbsternannten „Gauleiter“ und dem „NSU 2.0“ mit dem Tode bedroht.
Mehrere Anzeigen haben ihr nicht weitergeholfen. Indizien deuteten darauf hin, dass hessische Polizeibeamte die persönlichen Daten von Idil Baydar in Rechnern der Hessischen Polizei abgefragt hatten. Auch wenn inzwischen ein Verdächtiger für mehrere solche Drohschreiben verurteilt worden ist, ist die Verstrickung hessischer Polizisten in die NSU-2.0-Affäre noch längst nicht aufgeklärt.
Hier treffen sich die Erfahrungen von Idil Baydar und Serpil Unvar: Beide mussten miterleben, wie die Hessische Landesregierung Versagen und Rassismus in der Polizei heruntergespielt oder gar ganz leugnet. Dass der Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtags zum Lübckemord diese Woche nicht mit einem gemeinsamen Abschlussbericht beendet wurde, das ist ein klägliches Armutszeugnis für die Parteien, die nicht einmal nach
em rassstisch motivierten Mord an einem aufrechten CDU-Politiker zusammenstehen und die Demokratie gemeinsam verteidigen!
2016 durfte ich zum Jahrestag des Mords an Halit Yozgat auf dem Halitplatz in Kassel im Beisein seiner Schwestern eine Rede halten. Auch dieser Mord ist immer noch nicht völlig aufgeklärt, da die Verstrickung des Kasseler V-Mann-Führers Andreas Temme immer noch nicht klar widerlegt wurde. Hessen ist leider, was Rassismus in Polizei und Verfassungsschutz betrifft – das Land des Versagens, Vertuschens und Verharmlosens, des Tatkerens und mangelnder Aufklärung.
Jeder aufrechte Mensch in der Polizei müsste sich schämen, einer solchen Truppe anzugehören, wo rassistische und rechtsradikale Messages offenbar zum „rechten Ton“ gehören. Mehr als 110 Polizeibeamte in Hessen haben wohl an solchen Chatgruppen teilgenommen und nichts gegen Hakenkreuz-Postings, „Führerbilder“, SS-Runen und rassistische Hetze unternommen. Ich rufe alle Polizistinnen und Polizisten auf, ihrem Bidenköpfer Kollegen Solidarität zu bekunden, der wegen seines „Migrationshintergrunds“ diese Woche rassistisch beleidigt wurde.
„Nie wieder Faschismus“ darf kein Lippenbekenntnis bleiben; das muss eine alltäglich praktizierte Haltung sein überall in der Gesellschaft und auch in der Polizei. Deutschland sollte doch Lehren gezogen haben aus dem Raschismus, der Tausende ins Exil gezwungen hat und Millionen in die Gaskammern oder auf die Schlachtfelder!
Heute ist deshalb genau der richtige Tag für die Verleihung des „Marburger Leuchtfeuers für Soziale Bürgerrechte“ an Serpil Teniz Unvar. Vor 79 Jahren scheiterte das Selbstmordattentat des Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Der 20. Juli 1944 ist damit zum Tag der Warnung vor Faschismus und verbrecherischem Rassenwahn geworden.
Gegen Rassismus richtet sich auch das Engagement der heutigen Preisträgerin. Gleichzeitig setzt Frau Unvar sich aber auch für Bildung ein und bekundet damit ihre Hoffnung auf eine junge Generation. Diese jungen Leute wollen eine menschenwürdige Zukunft ohne Rassismus und Gewalt gestalten.
Ich freue mich sehr, heute einige Aktive der Bildungsinitiative Ferhat Unvar hier im Historischen Saal des Marburger Rathauses begrüßen zu dürfen. Sehr gefreut hat mich, mit Euch und Ihnen einen kurzen Rundgang durch die historische Oberstadt unternehmen zu dürfen. Bei diesem Stadtspaziergang sind wir den Namen Denis Papin, Friedrich Karl von Savigny, Gunda und Bettina von Brentano, Maximiliane de la Roche und Michail Lomonossow begegnet und haben gelernt: Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund“ haben Marburg und seine Kultur schon vor fast 200 Jahren nachhaltig geprägt.
Mit der Uraufführung eines Marburg-Lieds wird Jochen Schäfer diese Stimmung jetzt noch einmal in Musik umsetzen. „Holz, Lehm, Stroh und Stein“ sind Baustoffe, aus denen Marburg ebenso gebaut ist wie aus Holz- und Strohköpfen oder auch der Suche nach dem sprichwörtlichen „Stein der Weisen“.
Franz-Josef Hanke